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Doctor Boff - Weiberkranckheiten

Doctor Boff - Weiberkranckheiten

Titel: Doctor Boff - Weiberkranckheiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Klugmann
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Mediziner eine geschlossene Gesellschaft. Man kratzte sich nicht die Augen aus, jeder Arzt, der eine Praxis betrieb, besetzte ein Viertel und duldete dort keine Konkurrenz. Das musste er auch nicht, denn man kam sich nicht ins Gehege. Einig war man sich in der Ablehnung der traditionellen Heiler, und die wiederum hielten die modernen Mediziner für eine Bedrohung ihres jahrhundertealten Rechts. So pflegte man eine Abneigung, die auf althergebrachten Ritualen beruhte. Streng genommen konnte sich niemand beklagen, dass ihm der Konkurrent Patienten wegnahm. Denn die armen Menschen gingen traditionell zu den Heilern, weil sie es nicht besser wussten und weil sie arm waren. Wer auf dem Land wohnte, dem standen überhaupt nur Heiler zur Verfügung.
    Die modernen Ärzte praktizierten in den Städten, wo sie um bürgerliche Kunden warben, und weil im Lauf der Zeit der Anteil an Bürgern zunahm, wuchsen ihnen automatisch neue Kunden zu. Eine große Stadt wie Halle war ein Paradies für Mediziner. Wer keine eigene Praxis betreiben konnte, dem stand die Universität zur Verfügung, wo Lehrer für Medizin gebraucht wurden.
    Der Adel war die älteste Einrichtung von allen. Adlige hatte es schon gegeben, als es noch keine Mediziner gegeben hatte. Sie mussten zu Heilern gehen oder auf ärztlichen Beistand verzichten. Wer auf sich hielt, ging nun zu den Ärzten, deren moderne Kenntnisse man schätzte. Es waren aber gerade die Adligen, die – ohne mit der Wimper zu zucken – nacheinander erst die eine und dann die andere Richtung um Rat baten.
    Boff beschloss, mit Wünsch zu sprechen. Jemand musste etwas von Tänzer wissen, das weiterhalf.
    »Ich übernehme die erste Nacht«, teilte Hermine mit.
    »Das entscheidet Ihr nicht alleine.«
    »Ach richtig, ich vergaß. Ich bin ein unmündiges Kind, ich muss vorher den Herrn Papa fragen, bevor ich auf den Topf darf.«
    »Ich stehe zur Verfügung«, sagte der Bote eifrig.
    »Lasst mich raten«, entgegnete Boff, »zur Not teilt Ihr Euch mit Hermine die Nachtwache.«
    »In der Tat. Sieht man mir das an?«
    »Der Herr Papa sieht es nicht gern, wenn junge Mädchen die Nächte in Gesellschaft von jungen Herren verbringen«, ätzte Hermine.
    Boff verließ den Raum, bevor er sich zu unbedachten Bemerkungen hinreißen ließ.

23
    Wünsch wusste viel, streng genommen wusste er irritierend viel.
    »Findet Ihr überhaupt noch die Zeit, um zu praktizieren?«, fragte Boff verwundert, als sie sich bei einem Pflaumenschnaps, der aus dem Ungarischen kam, in den Sesseln der Bibliothek gegenübersaßen.
    Wünsch setzte seine erloschene Zigarre in Brand, diesem Ritual gab er sich mit kindlicher Freude und lautem Schmatzen hin.
    »Halle ist eine große Stadt«, sagte er dann. »Alle Städte, groß oder klein, haben etwas gemeinsam. Das ist der harte Kern. Ich meine die Männer, die sich um die Gemeinde kümmern, ob im Magistrat oder in der Kirche, im Militär oder in der Universität, vorausgesetzt man hat eine Universität. Aber wir sind hier ja nicht in Hamburg, wo sie eine Börse statt einer Universität haben und damit sehr zufrieden sein sollen. Wer weiß, vielleicht werden sie die erste große Stadt, die keine Universität hat.«
    »Ihr habt schlechte Erfahrungen in Hamburg gemacht.«
    »Hört man das? Na, jedenfalls meine ich den harten Kern der Menschen, die sich kümmern. Mancher ist fromm, mancher fleißig, manchen treibt seine Eitelkeit, er hört sich gern reden und ist in gelehrten Zirkeln und bei volkstümlichen Festen der Mittelpunkt. Mancher studiert die Bibel, bis seine Ohren rauchen, mancher raucht Zigarren, obwohl er es nie lernen wird, sie unter Feuer zu halten. Man kennt sich, man schätzt sich, man liebt sich nicht automatisch, aber man respektiert sich, denn alle im harten Kreis sind fleißig, sie sind erfolgreich im Beruf, leben in schönen Häusern und wer acht Bedienstete hat, fühlt sich doppelt so gut wie der mit sieben.
    Der harte Kern ist klein und sehr intim. Man weiß viel voneinander, und manchmal weiß man mehr, als für einen anderen im harten Kern gut ist. Dann achtet der darauf, seine Geheimnisse geheim zu halten, und weckt damit im Bräsigsten den Ehrgeiz, die Geheimnisse kennen zu lernen. Versteht mich nicht falsch: Es geht nicht darum, dem anderen zu schaden. Aber jeder will viel wissen, denn das ist gut fürs Renommee und wird noch einmal von Nutzen sein. Nicht jeder kann der größte Kaufmann sein oder der klügste Professor. Nicht jeder kann zehn Kriege gewonnen

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