Doctor Boff - Weiberkranckheiten
dafür in Betracht. Die Bedrohung war größer geworden.
24
Katarina Tänzer fühlte sich nicht wohl. Dieses Gefühl lag nicht an Hermine und nicht an dem Mann, der sich in Hermines Begleitung befand. Beide benahmen sich nicht wie Eindringlinge. Zwar hatten sie darauf bestanden, den kranken Mann in ein Zimmer im oberen Geschoss umzuquartieren. Aber dafür hatten sie einleuchtende Gründe genannt: Ein Eindringling könnte nicht mehr problemlos ins Zimmer gelangen. Natürlich war es immer noch möglich, unten einzubrechen und sich die Treppe hinaufzuschleichen. Aber die Wächter hielten diesen Weg unter Beobachtung, und nun blieb nur eine einzige Tür, um in den Raum mit Tänzer zu gelangen.
Zwei Kerzen brannten, weit entfernt vom Bett, in dem Tänzer schlief. Insgeheim war Katarina dankbar, einige Stunden Erholung geschenkt zu bekommen. Auch vorher hatte ihr die Pflegerin Pflichten abgenommen, aber Katarina hatte nur dagesessen, ohne Sinn und Ziel. Jetzt war ihr Mann bedroht, das war schlecht. Aber diese Bedrohung hatte neuen Sinn erzeugt. Er musste am Leben gehalten werden, alles, was geschah, war darauf ausgerichtet. Die beiden Wächter machten den Eindruck, der Aufgabe gewachsen zu sein.
»Ich mag das«, behauptete der Bote Lewerkühn. Sie hatten eine Recamière ins Zimmer gestellt, der bequeme Ohrensessel war schon vorhanden gewesen. »Ich muss mich nicht bewegen und mache trotzdem meine Arbeit. Es ist das Gegenteil meiner sonstigen Art.«
Auch Hermine litt nicht unter der Ereignislosigkeit. Die letzten Stunden vor Beginn der Wehen waren ebenfalls eine unkalkulierbare Phase. Und wenn die Wehen begonnen hatten,konnte alles innerhalb einer Stunde über die Bühne gehen. Oder auch zwanzig Stunden dauern.
Hermine war eine junge Frau und hatte eine große berufliche Zukunft vor sich, das hatte sie oft gesagt bekommen. Das Lob tat ihr gut, letztlich bedeutete es ihr aber nichts, denn was Hermines Wert ausmachte, ruhte tief in ihr und war für Außenstehende nicht zu erreichen. Sie war gern Hebamme, aber wenn sie in zehn Jahren nicht mehr als Hebamme arbeiten würde, wäre das kein Drama. Die Ungewissheit im Leben reizte Hermine ungemein. Fast so sehr wie ein bestimmter Doctor, mit dem sie zusammenarbeitete und den sie gerne ansah. Sie musste sich dabei nicht in acht nehmen, denn der Mann, der als klug galt und sich selbst für klug hielt, war ein Trampel, wenn es darum ging, Frauen auf die Schliche zu kommen. Bei keinem Zweiten hatte sie so viel über Medizin und Menschen gelernt, abgesehen von ihrer alten Ausbilderin, aber Boff verstand sich nicht auf die Geburt und gab das offen zu.
Vor allem schätzte sie die Luft, die er ihr zum Atmen und Arbeiten ließ. Nie kehrte er den Vorgesetzten heraus, nie führte er mit Hermine vor Dritten Gespräche, in denen sie schlecht aussah. Was zu bereden war, fand unter vier Augen statt. Hermine wusste, wie wenig selbstverständlich das war. Sie mochte alles an ihm: seine Art, sein Aussehen, seine Stimme, wie er sich bewegte, sie mochte seine Hände und wie er sich am Kopf kratzte. Sie mochte, was er anzog und wie er die Kämpfe gegen die frechen Patientinnen bestand. Boff mochte Menschen und war frei von Hochmut. Wer nicht lesen und schreiben konnte und nie aus einem Kreis von zehn Meilen herausgekommen war, wurde vom Doctor dennoch mit Respekt behandelt.
Sie arbeiteten so eng zusammen, dass körperliche Berührungen unvermeidlich waren. Hermine genoss jede einzelne, besonders jene, die im Stadium höchster Konzentration geschahen. Dann schien Boff den Kontakt nicht zu registrieren, undHermine konnte ihn doppelt und vierfach genießen. Wie gern hätte sie diesen Mann angefasst, nicht wie eine Schwester und nicht wie eine mütterliche Ehefrau nach zehn Jahren Ehe. In ihrem kurzen Leben war Hermine zweimal die Geliebte eines Mannes gewesen. Einmal hatte sich das gut angefühlt, einmal fürchterlich. Jetzt war sie bereit für ein drittes Mal. Es sollte wie im Himmel sein, sie würde diesem Mann, der so gern über die Religion spottete, schon zeigen, dass es einen Himmel gab. Und falls er sich zu dusslig anstellte, würde er auch die Hölle kennen lernen.
»Ich sehe Euch oft, wenn ich unterwegs bin«, sagte der Bote. Er lag auf dem Sofa, Hermine hatte darauf bestanden, den Sessel zu nehmen. »Ihr seid immer in Eile. Ihr habt diese Tasche, daran erkennt man Euch. Ich wette, es gibt eine Geschichte um diese Tasche.«
Aus dem Sessel kam ein Brummen, aber er wusste, dass sie nicht
Weitere Kostenlose Bücher