Doctor Sleep (German Edition)
Gegenteil davon. Ich glaube, das wussten wir schon vor der Sache mit dem World Trade Center. Schon als wir mit ihr aus der Klinik nach Hause gekommen sind, wussten wir wohl, dass irgendetwas mit ihr ist. Es ist, als ob …«
Er stieß die Luft aus und blickte an die Decke, als würde er nach Worten suchen. Concetta drückte ihm den Arm. »Sprich weiter. Immerhin hat er noch nicht die Männer mit den Schmetterlingsnetzen gerufen.«
»Na gut, es ist, als würde immer ein Wind durchs Haus wehen, bloß dass man nicht genau spüren oder sehen kann, was der bewirkt. Ich denke ständig, die Vorhänge müssten sich bauschen und die Bilder müssten von den Wänden fallen, aber so was passiert nie. Andere Sachen schon. Zwei- oder dreimal pro Woche – manchmal sogar zwei- oder dreimal täglich – fliegen die Sicherungen raus. Wir hatten schon zwei verschiedene Elektriker da, bei vier verschiedenen Gelegenheiten. Die haben die Sicherungen überprüft und uns gesagt, es wäre alles bestens. Manchmal kommen wir morgens nach unten, und die Kissen von den Stühlen und dem Sofa liegen auf dem Boden. Wir sagen Abra, sie soll vor dem Schlafengehen ihre Spielsachen aufräumen, und wenn sie nicht übermüdet und quengelig ist, tut sie das auch. Aber manchmal steht die Spielzeugkiste am nächsten Tag offen, und manche der Sachen liegen wieder auf dem Boden. Meistens die Bauklötze. Die mag sie am liebsten.«
Er schwieg einen Moment und blickte auf das Sehtestplakat an der gegenüberliegenden Wand. John dachte, Concetta würde ihn wieder antreiben, aber sie verhielt sich ruhig, bis er von selbst weitersprach.
»Okay, das ist zwar total irre, aber ich schwöre Ihnen, es ist passiert. Als wir eines Abends den Fernseher angemacht haben, liefen auf jedem Sender die Simpsons . Abra hat gelacht, als wäre das der beste Witz der Welt. Lucy ist fast durchgedreht. ›Abra Rafaella Stone‹, hat sie gesagt. ›Wenn du das bist, hör sofort damit auf!‹ So scharf spricht sie die Kleine fast nie an, und wenn sie es tut, ist Abra ganz aufgelöst. Das war auch an dem Abend so. Ich hab den Fernseher ausgeschaltet, und als ich ihn wieder angeschaltet hab, war alles ganz normal. Es gäbe noch ein halbes Dutzend anderer Geschichten … Vorfälle … Phänomene … aber das meiste war so unauffällig, dass man es kaum bemerkt hat.« Er zuckte die Achseln. » Wie schon gesagt, man gewöhnt sich daran.«
»Ich komme zur Party«, sagte John. »Nach allem, was ich gerade gehört habe, kann ich gar nicht anders.«
» Wahrscheinlich wird gar nichts passieren«, sagte Dave. »Sie kennen doch den alten Witz, wie man einen tropfenden Wasserhahn abstellt, oder? Da muss man nur den Klempner anrufen.«
Concetta schnaubte. » Wenn du das wirklich glaubst, mein Junge, dann wirst du wahrscheinlich eine Überraschung erleben.« An Dalton gewandt, fügte sie hinzu: »Ich hab ihn fast mit Gewalt hierherschleifen müssen.«
»Nun mach mal halblang, Momo.« Daves Wangen hatten sich gerötet.
John seufzte. Die Feindseligkeit, die zwischen den beiden herrschte, war ihm früher schon aufgefallen. Den Grund dafür kannte er nicht – vielleicht eine Art Konkurrenz um Lucy –, und er wollte vermeiden, dass Streit ausbrach. Das bizarre Problem, vor dem sie standen, hatte sie vorübergehend zu Verbündeten gemacht, und dabei sollte es aus seiner Sicht auch bleiben.
»Lassen Sie das bitte.« Das sprach er so scharf aus, dass die beiden den Blick voneinander lösten und ihn verblüfft ansahen. »Ich glaube Ihnen. So etwas habe ich zwar bisher nicht im Entferntesten gehört …«
Oder doch? Er unterbrach sich, weil ihm seine verlorene Uhr eingefallen war.
»Doc?«, sagte David.
»Entschuldigung. Ein Gehirnkrampf.«
Daraufhin lächelten seine beiden Besucher. Sie waren wieder Verbündete. Gut.
»Auf jeden Fall werde ich nicht die Männer in den weißen Kitteln auf Sie hetzen. Ich kenne Sie beide als vernünftige Menschen – und als gebildete Menschen, die nicht zu Hysterie oder Halluzinationen neigen. Wenn nur eine einzelne Person mir von diesen … diesen übersinnlichen Ausbrüchen erzählen würde, würde ich vielleicht eher auf eine merkwürdige Form des Münchhausen-Syndroms tippen. Aber Sie sind ja zu dritt. Womit sich die Frage stellt: Was erwarten Sie eigentlich von mir?«
Dave schien das nicht recht klar zu sein, seine Schwiegeroma wusste jedoch Bescheid. »Sie sollen Abra beobachten, so wie sie es bei einem Kind mit irgendeiner Krankheit tun würden
Weitere Kostenlose Bücher