Dog Boy
hob er eine Braue, wobei sich dreieckige Falten bildeten, und er blickte in Dimitris Gesicht. Dimitri spürte, dass Maltschik ihm freundlich gesinnt war. Dieses riesige, kluge Tier, das Dimitris Sprache nicht beherrschte, strahlte förmlich vor einfältigem Wohlwollen.
Dimitri drückte den Summer an der Wohnung seines Nachbarn, und als Juri Andrejewitsch die Tür öffnete, rannte Maltschik sabbernd hinein. Dimitri zeigte mit wortlosem Lächeln auf den Hund. Juri starrte ihn an.
»Ein netter Hund«, sagte Dimitri hastig und winkte zum Abschied.
Natalja hatte die nackten Füße auf die gelbe Armlehne des 8-Marta-Sofas gelegt. Sie hatte das Haar gelöst, und ihre wilden Locken glänzten im Licht der Tischlampe. Natürlich hatte sie nicht gekocht, doch der Kühlschrank war voll und die Küche sauber. Auf ihrem Gesicht lag der schwache blaue Schimmer des Fernsehers. Sie blickte mit ihrem unkomplizierten Lächeln zu ihm auf; wie immer betörte ihn die unbezwingliche Gesundheit und Wärme ihres Gesichts, und er empfand die Schicksalsschläge des Tages als entschärfte, inzwischen wirkungslose Päckchen, die weitergereicht werden konnten.
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1. November. Wir hatten ein langes Gespräch mit Romotschka, und endlich ist alles klar. Was für ein Geschenk des Himmels, dass Romotschka reden kann und intelligent ist! Die meisten unserer Fragen beantwortete er nur mit einem einzigen Wort, doch er war ziemlich offen. Seine Geschichte ist seltsam, und doch irgendwie normal. Alles ist aufgeklärt. Romotschka und Marko (»Welpe« ist ein Kosename) befanden sich in der Obhut ihrer Mutter. Romotschka nennt sie Mamotschka – wirklich niedlich. Er gehört wohl zu den Jungen, die ihren Müttern große Hingabe und Beflissenheit entgegenbringen. Er sagt, sie hätten Hunde gemocht, und die Familie habe viele Hunde besessen – die hätten bei ihm und Marko gelebt. Kein Vater weit und breit; die Mutter arbeitete stundenlang und ließ die Kinder bei den Hunden. Er ist loyal: sagt, sie habe sich »sehr gut um sie gekümmert«, habe ihnen Milch und andere gesunde Nahrungsmittel gegeben und sie »sehr sauber« gehalten. Marko sei »ein Geschenk« Mamotschkas für Romotschka gewesen, auch das ist niedlich. In dieser armen kleinen Familie gab es anscheinend viel Liebe. Doch irgendwann sei ihre Mama verschwunden. Ich habe ihn mehrmals gefragt, was seiner Mutter zugestoßen ist, aber er gab stets dieselbe Antwort: Er wisse es nicht, habe sie aber nie mehr gesehen. Romotschka war, wie er sagt, »der Anführer«. Er habe sich um Marko und die Hunde gekümmert.
Zeitrahmen: nur ungenaue Antworten. Wir müssen uns auf Markos Verhalten stützen und ein bisschen spekulieren.
Sie sind keine richtigen Hundejungen, sondern stammen nur aus einer Familie, die sich gut mit Hunden verstand, und mussten sich dann allein mit den Hunden durchschlagen. Das ältere Kind in loco parentis , wie es in Vernachlässigungsszenarien üblich ist. Enttäuschend für die Puristen – und die Mythologen. Die beiden können eigentlich nicht als wild lebende Kinder eingestuft werden, doch sie haben mindestens ein paar Jahre lang eine unglaubliche Tortur überstanden. Aber darüber gibt es für den armen DPP nicht viel zu schreiben. Romotschka kümmert sich anscheinend immer noch um die Hunde und lebt mit ihnen zusammen. Er hat gesagt oder vielmehr zugegeben, dass sie an einem schönen Ort leben, wo sie alles haben, was sie brauchen. Er hat von anderen Menschen gesprochen, die ihm mit Kleidung und Nahrung aushelfen, also lässt sie vielleicht irgendein Nachbar im Keller oder auf dem Dachboden wohnen. Dimitri hat recht – Romotschkas Verhalten lässt sich in vielen Fällen durch eine geistige Schädigung und die emotionale Bindung an die Hunde, das einzig Dauerhafte in ihrem Familienleben, erklären.
Wie definiert man einen Hundejungen? Die Tatsache, dass er ein Junge ist, wird immer dominierend sein, und diese Hunde waren Haustiere. Die ihm Wärme und Zuneigung, vielleicht aber vor allem eine Verpflichtung gaben? Kein besonders großer Einfluss auf das ältere Kind.
Gut, der Sache endlich auf den Grund gekommen zu sein. Denn da kommt man schon ins Grübeln.
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Natalja hatte Welpe auf die Intensivstation bringen lassen. Die Ergebnisse der Bluttests lagen vor: eine Lungenentzündung mit zystischer Fibrose, das war kritisch.
Die Pulsoximeterkurve zeigte den rasenden Herzschlag und den sinkenden Sauerstoffgehalt. Der Kleine zuckte mit den Beinen, und sie
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