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Dog Boy

Dog Boy

Titel: Dog Boy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Hornung
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Alleinsein keinen Schritt mehr ertragen können. Weiße Schwester leckte sein Gesicht. Grauer Bruder küsste seinen Hals, als er sich mit ihnen hinsetzte. Sie schnupperten an seinem ganzen Körper und suchten Welpes Geruch. Welpe war für sie lange der Geruch gewesen, den er an sich trug, wenn er vom Zentrum zurückkam. Als er die beiden leckte, kehrten seine Wut und seine Trauer zurück. Sie würden Welpe nie wieder riechen. Romotschkas Kehle und Magen schnürten sich so fest zusammen, dass es wehtat.
    Ein Mann kam den Pfad entlanggetorkelt. Er sah aus und roch wie jeder andere betrunkene bomsch, trug ein Sammelsurium zerlumpter Kleidungsstücke und die alte Wollmütze eines Soldaten. Sein graues Haar war lang und glatt und baumelte in Strähnen über seine Schals. Er kam vorsichtig den Pfad entlang, bemüht, nicht zu schwanken. Plötzlich tippte er sich mit dem Mittelfinger an die Stirn.
    Onkel.
    Der Mann wandte ihnen kurz sein hageres Gesicht zu. Er war nicht zu verwechseln. Romotschka schluckte einen Schrei hinunter und verfiel dann in die reglose Haltung des Jägers. Die Hunde sahen ihn erstaunt an.
    Onkel hatte sich verändert. Er trug nicht mehr den halbwegs anständigen Anzug und Mantel. Selbst bei diesem Licht war deutlich zu sehen, wie ausgemergelt sein Körperund sein Gesicht waren. Er war alt. Er war obdachlos. Er machte einen großen Bogen um die beiden Hunde und den Jungen und torkelte summend und fluchend den Pfad vom Berg zur Metro entlang. Romotschka wurde schwindlig, als er das Lied erkannte, das der Alte zu singen versuchte.
    » Ist es meine Schuld … Ist es meine Schuld … Scheiße … Scheiße!«
    Romotschka fühlte sich plötzlich ganz schwach. Das Lied seiner Mutter aus längst vergangenen Zeiten ergriff sein Herz und warf es schmerzhaft hin und her. Er folgte dem Betrunkenen, die beiden Hunde liefen hinter ihm her, und zu dritt trotteten sie ihm nach. Sie hatten lange keinen Betrunkenen mehr überfallen, seit damals nicht mehr, als sie noch jung und dumm gewesen waren, doch keiner von ihnen stellte Romotschkas Entscheidungen jemals in Frage.
    Romotschka blieb Onkel dicht auf den Fersen; er wollte das Lied hören. Onkel trällerte im Falsett immer wieder die erste Zeile, kam aber nicht darüber hinaus. Das ganze Lied, wie seine Mutter es immer gesungen hatte, sank in Romotschkas Brust und schallte durch seinen Körper, während Onkel vor ihnen fluchte und lallte. Sehnsucht mischte sich in Romotschkas Wut und Trauer. Er setzte seine Schritte mit der Lautlosigkeit eines Jägers, doch er folgte dem Lied, nicht dem hageren Alten, griff nach jedem schleppenden Wort, als wären es Krümel oder Kiesel, die nur fallengelassen wurden, damit er ihnen folgte. Er konnte sich an jedes einzelne Wort erinnern: Es schien das Einzige zu sein, was er wirklich kannte.
    » Ist es meine Schuld, dass ich verliebt bin?! … Verdammter Mist!«
    Die Stimme seiner Mutter hämmerte auf RomotschkasHerz ein, bis sein Körper vor Schmerz und Sehnsucht sang. Er spürte wieder, wie ihm der riesige Pfropf in Brust und Kehle stieg, und plötzlich wusste er, dass er nicht aus Holz, sondern aus Tränen bestand, die sich wie ein Gewirr von Maden in seinem Innern ringelten.
    Onkel, der anfangs gar nicht merkte, dass er verfolgt wurde, torkelte durch die dämmerigen Gassen. Doch an einer breiten Straßenkreuzung drehte er sich um, sah Romotschka, gefolgt von den beiden Hunden, und starrte sie mit offenem Mund an. Onkel blieb stehen und versuchte sich stirnrunzelnd zu konzentrieren. Langsam, unbekümmert summte er die Melodie, während er herüberstarrte.
    Plötzlich verstummte er und warf Romotschka den funkelnden Blick eines Betrunkenen zu, der jemanden wiedererkannte. Er deutete dreimal mit dem Finger auf ihn und ließ die Hand in der Luft verharren, eine Geste, die Romotschka so vertraut war wie das Lied.
    »Du kleiner Scheißkerl. Dich kenn ich doch.«
    Romotschka hielt die Luft an. Er hob flehend die Hände. Plötzlich sah er seine Mutter in einer Schürze vor sich, wie sie ihnen singend Haferbrei kochte, während Onkel vor Freude lachte.
    »Ja … ich kenn dich. Du bist dieser irre kleine Hundeficker. Ich hab dich doch eben erst da drüben am Berg gesehen, du hast geguckt wie ein Schwachsinniger. Warum verfolgst du mich?«
    Romotschka rührte sich nicht vom Fleck. Das Lied ließ ihn einfach nicht los. Er war so aufgewühlt, dass ihm die Tränen gekommen wären, wenn ihn Onkel wirklich erkannt hätte, wenn er nur für einen

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