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Dog Boy

Dog Boy

Titel: Dog Boy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Hornung
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Hunde zu konzentrieren, lernte, dass fremde Hunde ausnahmslos böse waren. Man musste sich vor ihnen hüten und sie als Feinde behandeln. Jede Revierverletzung fand in feindlicher Absicht statt und war mit kontrollierter Aggression oder mit Rückzug zu beantworten. Er lernte, dass Einzelgänger, die keinem Rudel angehörten, am gefährlichsten waren. Meist hatten sie wieMamotschka früher bei Menschen gelebt, hielten sich aber nun an keine Regeln mehr und waren deshalb unberechenbar. Er lernte, dass die Freifläche seiner Familie gehörte und die dort verlaufenden Pfade für Fremde tabu waren, doch jenseits davon kamen und gingen viele andere Rudel – diese Pfade waren offen. Er lernte, dass die Höhle ein geheimer Ort war und es genaue Regeln gab, wie man sie betrat oder verließ. Er lernte zu jagen, und dass alles, was ein junger Hund fing, ihm selbst gehörte, während alles, was ein ausgewachsener Hund fing, geteilt wurde.
    Wäre Goldene Hündin nicht gewesen, hätte Romotschka sich bei seinen Lektionen entspannt und selbstsicher gefühlt. Doch ihm ging es vor allem um ihre Anerkennung. Sie sollte aufhören, ihn so aufmerksam zu beobachten. Er wartete darauf, dass sie ihn herumkommandierte und ihm zeigte, wie man Mäuse fing. Doch nie leckte sie ihn so unbeschwert und liebevoll wie einen der Welpen, und sie brachte ihm auch nichts bei. Eines schrecklichen Frühlingstages war Romotschka so glücklich, dass er zu Goldene Hündin hinüberrannte, die dasaß und das Territorium bewachte, auf dem sie spielten, dass er an ihr hochsprang und die Arme um ihren muskulösen Körper schlang. Plötzlich spürte er, wie sie erstarrte und respektvoll die Ohren zurücklegte. Sie sah ihn mit sanftem Blick an und leckte sich immer wieder über die Nase. Dann entzog sie sich ganz langsam seiner Umarmung und ließ sich zu Boden sinken, rollte sich auf den Rücken und entblößte ihre Kehle.
    Romotschka war entsetzt und bitter gekränkt. Sie hatte etwas gesagt, das nicht zurückgenommen werden konnte und alles aus dem Gleichgewicht brachte.
    Schon bald begann Goldene Hündin, bei seinem Anblick vor Freude mit dem Hinterteil zu wackeln und ihm zur Begrüßung Hände und Mund zu lecken. Doch sie betrachtete ihn auch weiterhin mit demselben sehnsüchtigen Interesse. Und Romotschka konnte nicht vergessen, dass er für sie kein Hund war. Auch Schwarzer Rüde betrachtete ihn nicht als Hund, doch zwischen Schwarzer Rüde und ihm schien alles geklärt und entspannt zu sein. Ihm war bewusst, dass Goldene Hündin etwas von ihm erwartete, das er nicht begriff.
     
    Eines Tages führten Mamotschka, Schwarzer Rüde und Goldene Hündin Romotschka und die Welpen von ihrem Spielplatz auf die andere Seite des unbebauten Grundstücks. Die Welt war erfüllt von Sonnenschein, und auf der ganzen Freifläche glitzerte gelber Löwenzahn. Die jungen Hunde zitterten vor Aufregung. Sie zwängten sich durch den Zaun, blieben dann eng aneinandergedrängt stehen und schnupperten. Romotschka konnte sich an diesen Ort erinnern, aber er kam ihm völlig verändert vor. Begierig schwelgte er in seinen Erinnerungen. Damals war er ein Junge gewesen, ohne Familie, ein Junge, der einem fremden Hund folgte. Er wusste noch, dass er gefroren hatte und hungrig gewesen war, der Pfad vor ihm gänzlich unbekannt. Jetzt war die Freifläche die Schwelle zu seinem Zuhause, voll vertrauter Gerüche, ein Ort der Sicherheit, ja Langeweile. Jetzt war er ein Hund. Seine Mutter war ein Hund. Seine Geschwister waren Hunde. Er beobachtete genau, wie sie, den Schwanz stocksteif, mit langen, tiefen Atemzügen überall sorgfältig schnupperten. Was mochten sie wohl riechen? Seine Nase roch bloß den Urin.
    Dies war der erste Treffpunkt. Erst später begriff er, dass sie hier erfahren konnten, wann und wohin die anderen jagen gegangen waren, wer zurückgekehrt war und was ergefangen hatte. Hier konnten sie prüfen, ob es ungefährlich war, sich der Höhle zu nähern, und hier hinterließen auch Fremde ihre Botschaften, ein Stückchen entfernt, wenn sie friedlich, direkt am Treffpunkt, wenn sie aggressiv waren.
     
    ~
     
    Der Müllberg erhob sich dunkel und massig über einen Wald von Birken, Lärchen, Fichten, Kiefern, Eichen und Erlen, der sich von der anderen Bergseite bis zum Horizont erstreckte. Auf einer Seite schmiegte sich der alte Friedhof an den Fuß des Berges, im Schutz der Bäume nahezu unsichtbar. Die Betonblockmauer, die zwischen dem Friedhof und der langsam vordringenden

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