Dog Boy
Berglawine stand, war von den Baustellen aus nur als dünne weiße Linie zu erkennen. Hinter dem Friedhof lag eine Landstraße, die auf der anderen Seite von fernen Wohnblocks flankiert war. Der Friedhof reichte bis auf hundert Meter an die Kirchenruine der Hunde heran. Dazwischen wuchsen die langen Gräser eines Sumpfgebiets.
Am Rand des Berges endete das Ödland in einer Böschung mit Blick auf eine flache Mulde voller Schutt und Müll. Ob von dort Wasser zu einem saubereren Bach floss, war nicht zu erkennen. Es war ein natürlicher Hang, der sich an einer Seite des alten, aber stetig wachsenden Berges entlangzog. Im Frühling war die Mulde ein nasses, tückisches Becken, schwer zu durchqueren und an manchen Stellen ziemlich tief. Im Sommer schien sich der Schuttstrom in diesem Bett in einer unmerklichen Lawine fortzubewegen. Einen von den Osthängen des Berges erblickten Eimer konnte man zwei Wochen später vielleicht mitten in der südlichen Biegung sehen. Kein deutlich erkennbarer Pfad führte über dieses sich verschiebende Trümmerbett.
Im Frühling, Sommer und Herbst ergoss sich ein berauschender unsichtbarer Fluss, ein mächtiger Strom chemischer Abfälle vom Berg in jegliche Spalten, löste sich dann in der Luft rings um die Wohnblocks auf und hinterließ einen schwachen, süßlichen Geruch, der sogar bis in die dahinter gelegene Metrostation drang. Der Wald brachte Unmengen von Blumen, Nestlingen, Früchten, Nüssen, Beeren und Pilzen hervor; das Land wurde erst schlammig, dann grün, dann grasbewachsen und schließlich golden, es wimmelte von Hasen, Maulwürfen und unzähligen Lebewesen, als hätte der Berg gar keine Auswirkung. Die Hunde und Menschen, die hier lebten, hießen den leuchtturmartigen Berg willkommen. Er war ihr ständiger Kompass.
Als die Hunde das nächste Mal die Höhle verließen, liefen sie direkt zum Treffpunkt und von dort weiter. Mamotsch-ka nahm Romotschka und, zu seinem Verdruss, auch Brauner Bruder mit, der von allen am schwerfälligsten war. Schwarzer Rüde nahm Weiße Schwester mit, Grauer Bruder und Schwarze Schwester gesellten sich zu Goldene Hündin, und dann teilten sich alle auf, um in der großen weiten Welt auf Nahrungssuche zu gehen. Mamotschka, Romotschka und Brauner Bruder trotteten hintereinander über das Ödland, auf der Suche nach einem geeigneten Weg über den Schuttfluss in die berauschende Umgebung des Berges, wo Maschinen knirschten und rumpelten und der Gestank schon zu riechen war. Als sie zum Berg selbst hinüberliefen, mussten sie nach Hunden und Menschen Ausschau halten und bei jedem Hund, dem sie begegneten, die Rituale der offenen Pfade vollziehen.
Zum ersten Mal seit Monaten kam Romotschka wieder in die Nähe von Menschen. Die Männer und Frauen suchten mit gesenkten Köpfen den Berg ab und stocherten mit Stöcken und handgefertigten Hacken im Schutt. Auch kleine Kinder beteiligten sich an der Suche oder ritten auf dem Rücken der Eltern Huckepack. Keiner von ihnen schenkte Romotschka irgendwelche Beachtung. Mamotschka führte ihn und Brauner Bruder in weitem Bogen um die Menschen herum, anscheinend gab es auch in der Nähe von Menschen geschlossene Pfade. Er sah, dass Mamotschka die Menschen für gefährlich hielt, und erinnerte sich, dass sie Fremde waren und er nicht mit ihnen sprechen sollte. Jetzt hatten ihm seine beiden Mütter dasselbe gesagt.
Mamotschka ging um den Berg herum, auf den Birkenwald und das Hüttendorf auf der anderen Seite zu. Vor Aufregung verfiel Romotschka in einen tänzelnden Schritt. Brauner Bruder hatte den Schwanz aufgestellt, der im Wind aussah, als bestünde er aus Federn, und hier und da bellte er, weil ihm einfach danach zumute war. Mamotschka ging zielgerichtet, ohne einen Laut von sich zu geben, und sie folgten ihr, wobei sie immer wieder herumtollten und spielerisch miteinander kämpften.
Weiter vorn schlugen vier zerlumpte Männer schreiend mit ihren Hacken und Stöcken auf etwas ein, das vor ihren Füßen lag. Es brüllte und keuchte, krümmte sich und schlug um sich. Romotschka dachte, es müsse ein großes Tier sein, das sie verzehren wollten oder von dem sie angegriffen worden waren. Doch dann drehten sich plötzlich alle um und gingen davon, und er sah, dass es ein Mensch war, der ächzend im Schutt lag. Im Vorbeigehen roch er etwas, das ihn an Onkel erinnerte. Er beschleunigte seinen Schritt. Mamotschka schenkte keinem von ihnen Beachtung.
Rings um das Hüttendorf gab es viele Hunde. Manchewaren mit
Weitere Kostenlose Bücher