Dog Boy
Romotschka zwar, unternahm aber nichts, sondern verhielt sich ihr gegenüber von nun an äußerst kühl. Ihm war elend vor innerer Verzweiflung. Es war seine Aufgabe, eine gute Gegend für die Nahrungssuche und eine sichere Höhle zu finden, doch es wollte ihm nicht gelingen.
Tränen rannen über sein Gesicht; er war in seinem Leben noch nie so unglücklich gewesen. Ihnen blieb nichts anderes übrig, als weiterzugehen. Er wagte weder stehenzubleiben, noch wusste er, wohin er sich wenden sollte.
~
Sie standen auf der Brücke. Der sommerliche Fluss erfüllte die Luft mit Feuchtigkeit. Romotschka holte tief Luft, und Weiße Schwester schnupperte zwischen den Geländerpfosten hindurch. Der Verkehr dröhnte ganz dicht an ihnen vorbei, und dennoch hatte sich Romotschka, seit er in den Zug gestiegen war, nicht mehr so wohl gefühlt. Er bliebmitten auf der Brücke stehen und beobachtete, wie das Wasser weit unter ihm toste und sich wieder beruhigte. Konnten sie darauf vertrauen, dass der starke Gestank nach Wasser und Verwesung sie wieder nach Hause führen würde? Da sah er, dass Weiße Schwester den Kopf in die Luft streckte und einen anderen Weg witterte, den direkten Weg nach Hause. Plötzlich wurde er ganz ruhig. Alles würde gut werden.
Es geschah so plötzlich, dass Romotschka glaubte, es müsse ein schrecklicher Alptraum sein. Sie waren in einen Hof getreten, den er für eine Abkürzung gehalten hatte, fanden jedoch keinen Ausgang, und als sie umkehren wollten, geriet die Welt plötzlich in Bewegung. Stampfende und schlurfende Stiefel, Geschrei und Gebrüll. Es war so unerwartet und schrecklich, dass Romotschka nicht wusste, wo er hinschauen sollte. Einen Augenblick stand er da und warf den Kopf hin und her, außerstande zu begreifen, dass er von einem Wall uniformierter Muskelkraft umzingelt war.
Er rannte los und schlug hart mit dem Hinterkopf auf den Boden. Dann wurde er brutal auf den Bauch gerollt, sein Gesicht auf den Asphalt gedrückt, die Arme auf den Rücken gedreht und in Handschellen gelegt. Einer von ihnen stellte den Stiefel auf seinen Kopf, während ein anderer ihm die Füße zusammenband. Weiße Schwester knurrte über seinem Hinterkopf, irgendwer brüllte: »Erschieß den Hund!«, und sie bekam einen heftigen Fußtritt, der sie von ihm wegschleuderte. Mit einem Auge sah er, halb von seinem Haar verdeckt, wie sie sich wieder aufrappelte und zum Sprung ansetzte, doch dann stieg ein riesiger Mann über ihn hinweg, rannte unglaublich schnell auf sie zu undzog ihr den Gummiknüppel über den Kopf. Romotschka schrie auf, als Weiße Schwester zusammenbrach. Sie lag zuckend auf dem Asphalt und versuchte den Kopf zu heben, während er fortgetragen wurde. Die Männer über ihm brüllten etwas, und man steckte ihn in den Bus der milizia .
»Warum hast du den Hund nicht erschossen? Ich hab dir doch befohlen, ihn zu erschießen, Solotuchin!«
Der Polizist zuckte mit den Schultern. »Ich mag Hunde.«
Auf der Hauptwache herrschten wieder Lärm und geschäftiges Treiben. Die Tür zu den Zellen öffnete sich. Rings um einen Mann, der den Zellengang betrat, war das Geräusch eiliger Schritte und aufgeregter Stimmen zu hören. Vermutlich der Rudelführer. Seine Begleiter scharwenzelten um ihn herum, eifrig und auskunftsfreudig. Romotschka hörte, wie sie seine unglaubliche Behaarung, sein bösartiges Wesen, seinen seltsamen Gang, seine erstaunlichen Reflexe und seinen Gestank – zusammen mit dem Triumphgefühl, ihn gefangen zu haben – in Worte fassten und ihrem Anführer davon berichteten. Er hatte Angst. Der Anführer trat an die Gitterstäbe und starrte ihn mit ernstem Gesicht an. Romotschka starrte genauso förmlich und mit steifem Rücken zurück.
Der Anführer drehte sich um und sagte mit kalter, rauer Stimme: »Was zum Kuckuck habt ihr euch dabei gedacht? Das ist doch bloß ein Kind. Nehmt ihm die Handschellen ab und zieht ihm den Knebel raus.«
»Der beißt, Major Tschernjak.«
»Tut, was ich euch sage!«
Das Rudel zögerte, und dann brachen plötzlich alle inlautes Gelächter aus. Der Anführer knurrte verzweifelt. Er schloss die Zelle auf und marschierte auf Romotschka zu, der sich noch fester in seine Ecke drückte. Der Major bückte sich, hielt sich mit einer Hand die Nase zu und löste den Knebel. Romotschka wartete einen Augenblick, grub dann die Zähne in sein nach Seife schmeckendes Handgelenk und biss so fest zu, wie er konnte. Der Anführer richtete sich schreiend auf,
Weitere Kostenlose Bücher