Dog Boy
packte ihn an den Haaren, schüttelte ihn und entwand sich Romotschkas Biss, während der ungestüm nach einem größeren Stück seines Handgelenks schnappte.
»Helft mir mal«, brummte der Major, und die lachenden Männer rissen Romotschkas Kopf zurück, während sich Tschernjak befreite. Romotschka gab ein ersticktes Knurren von sich.
»Bloß ein Kind, bloß ein kleines Kind«, sang einer der Männer und schürzte die Lippen.
Der Anführer hielt sich seufzend die Hand, und die Zelle wurde wieder abgeschlossen. »Das ist wirklich nur ein kleines Kind. Wo soll das alles nur hinführen?«
Der gehässige Kerl schnaubte. »Wild lebende Kinder sind schlimmer als tollwütige Hunde. Auch schlimmer als Erwachsene, und es soll Millionen von ihnen geben. Wenn wir die nicht loswerden, können wir unsere Probleme nicht lösen. Weg mit ihm, sage ich.« Er machte eine schnelle Handbewegung und richtete den Finger auf Romotschkas Kopf. Romotschka begriff: Er kannte Gewehre, hatte sie schon einmal gesehen. Er knurrte.
»Mein Gott, Below, du hast doch selbst Kinder. Wie kannst du nur so was sagen?«
»Das ist kein Kind. Das Ding bringt meine Kinder um, sobald sich ihm die geringste Gelegenheit bietet.«
Der Anführer wandte sich ab und blaffte die anderen an: »Macht ihn heute Abend los. Und schneidet ihm nicht die Haare – die braucht ihr noch.« Dann marschierte er davon.
Bei Einbruch der Dunkelheit kamen fünf milizi in Romotschkas Zelle. Sie nahmen ihm die Handschellen ab und ketteten sein Handgelenk an einen Ring an der Wand. Während zwei Mann ihn an den Haaren festhielten, band ihm ein dritter die Füße los und zog ihm den Knebel heraus. Er hielt sie mit seinen besten Kampfkünsten in Schach und war verwirrt, als sie einen riesigen Napf heiße Suppe neben ihm auf den Boden stellten, ein halbes Brot dazulegten und weggingen.
Am nächsten Morgen wurde er festgehalten und ausgezogen. Sie spritzten ihn mit kaltem Wasser ab, sodass er vor Schmerz jaulte und, soweit es die Kette erlaubte, hin und her kroch. Dann ließen sie ihn ein paar Stunden lang nackt dahocken, bis er und die Zelle wieder halbwegs trocken waren. Auf der Wache war es nicht kalt, und er wärmte sich allmählich wieder auf. Später warfen sie ihm sogar eine Decke hin.
In den folgenden Tagen wurde Belows Hund zu einer wahren Attraktion auf der Wache. Die Polizisten anderer Reviere kamen vorbei, bezahlten Geld und lachten dann lauthals, wenn Romotschka festgehalten, gestoßen und provoziert, geschlagen und nachgeäfft wurde – sein wildes Beißen, seine scharfen Krallen und seine unglaubliche Geschwindigkeit wurden einem endlosen Strom vergnügter milizi vorgeführt. Sie versammelten sich, um ihm lachend beim Fressen zuzusehen oder wenn er die Toilette benutzte, und brüllten vor Freude, weil es Below gelungen war, ihn abzurichten. Below sagte, dass es nichts Besseres gebe,als ihn mit einem Hochdruckschlauch abzuspritzen – das sollte in jedem Handbuch für Hundetraining stehen.
Romotschka blieb innerhalb der Grenzen seines Hunde-Ichs und ließ sich nicht anmerken, dass er sie verstand, in der Hoffnung, dass ihm das irgendwann einen Vorteil verschaffen könnte. Er lauerte feindselig, beobachtete, und mit der Zeit hasste und verachtete er sie für alles, was sie nicht wussten. Die Tage verstrichen.
Dass er sich in seinem Hunde-Ich verbarg, schottete ihn in gewissem Maße von seinen Gedanken und Gefühlen ab. Er war ein Hund: Worte bedeuteten nichts. Er war ein Hund: Dumpfer Schmerz und unbändige Freude waren die Grenzen, innerhalb derer alle Gefühle zum Ausdruck kamen. Sein Ich war das Ich eines Hundes, eine Reihe bekannter Pfade, Wege und Orte, an denen man sich zwischen den Grenzen aufhalten konnte. Die augenblickliche Situation war nicht gut. Er dachte eine Weile darüber nach. Fraß mürrisch, kämpfte, wenn sich die Gelegenheit dazu bot, und knurrte, um sich zu trösten. Doch obwohl er sich weit in sich selbst zurückzog, überkam ihn das Gefühl, als neigte sich der Sommer allmählich dem Herbst zu; es sickerte in ihn ein und erstickte alle anderen Gefühle. Diese Schwermut wurde, anfangs nur manchmal, dann immer öfter, vom Schneefall der Verzweiflung begleitet.
Als der Hund so ruhig wurde, dass er sich nicht mehr überzeugend zur Wehr setzen konnte, war Belows Geschäft nicht mehr einträglich. Die Polizisten fanden den Anblick eines verzweifelten nackten Jungen mit der Körperbehaarung und der langen schwarzen Mähne eines Erwachsenen
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