Dog Boy
bringe genau wie ein einsames Kaninchen, das sich mit einem Faun vereinige, oder eine Katze, die einen Igel säuge, eine Störung oder einen Mangel zum Ausdruck. Leider hatte diese Argumentation Natalja in ihrem Entschluss, einen Hund anzuschaffen, nur noch bestärkt.
Außerdem fühlte sich Dimitri durch den Kontakt mit Tieren verunreinigt. Im pathogenfreien Tierversuchslabor der Universität hielt er jedes Mal den Atem an. Er erschauderte, wenn er die Haare berührte, die fremde Muskeln bedeckten, und sei es bei einer Laborratte. Sobald er ein Tier angefasst hatte, wusch er sich unverzüglich die Hände. Andiesem Morgen hatte er es Natalja endlich gestanden, doch statt Verständnis und Mitgefühl hatte er nur einen triumphierenden Blick geerntet. Als er dann beim Frühstück hinzufügte, dass er befürchte, eine Tierallergie zu haben, musste er sich abwenden, denn er wusste, wenn er sie ansähe, würde er nicht überzeugend klingen.
Natalja lachte und ließ ihre bezaubernde Stimme ertönen. »Ach, du wünschst dir doch bloß, du hättest eine Allergie.«
Dimitri war tief getroffen und behauptete sogleich, dass er Tiere durchaus möge, aber irgendetwas an ihnen sei ihm eben unangenehm.
Innerlich aufgewühlt ging er zur Arbeit; es sah tatsächlich so aus, als würden sie sich einen Hund anschaffen. Natalja bekam immer, was sie wollte. Er wusste, dass sein Unbehagen ein waches Gespür für die philosophische und naturwissenschaftliche Kluft zwischen Mensch und Tier zeigte, doch er war außerstande gewesen, es zum Ausdruck zu bringen. Wie immer in Nataljas Gesellschaft verlor er seinen Scharfsinn und seine Überzeugungskraft. Niemand konnte sich mit Natalja streiten; die meisten Menschen taten ohne Zögern, was ihnen diese herrliche Stimme sagte, und genossen den Sonnenschein ihres Wohlwollens und ihrer Selbstsicherheit, ohne ihre Autorität auch nur für einen Moment infrage zu stellen.
Doch obwohl sie eine hervorragende Kinderärztin war, hielt Dimitri sie für ein bisschen verrückt. Ihm war noch keine andere Wissenschaftlerin begegnet, die ihn nach seinem Sternzeichen gefragt hatte. Das war das Erste gewesen, was sie zu ihm sagte, und er dachte noch immer mit Unbehagen an ihr Lächeln und den durchdringenden Blick, den sie ihm zugeworfen hatte, als hätte sie durch seine Antwort einen tieferen Einblick in seine Seele erlangt.
Natalja war wirklich ein naives Landei. Trotz ihrer Intelligenz hegte sie solch kindliche Ansichten. Er hätte sie gebeten, ihn zu heiraten, doch ihm fiel kein Grund ein, warum sie ja sagen sollte; er konnte noch immer nicht fassen, dass sie eingewilligt hatte, mit ihm zusammenzuziehen. Doch die gesamte Einrichtung ihrer Wohnung stammte von ihm. Ich habe meine Sachen zu Hause gelassen, hatte sie gesagt, und er hatte nicht den Mut aufgebracht, sie nach dem Grund zu fragen.
Im Vergleich zu Natalja hatte er eine schwere Kindheit gehabt. Vielleicht lag es daran: Menschen, die eine schwere Kindheit hatten, begreifen vermutlich eher, dass Haustiere ein törichter Luxus sind.
Die Scheinheiligkeit dieser Hundenarren! Tagtäglich starben auf der Straße russische Kinder – das wusste Natalja genauso gut wie er –, doch wenn Hunde ausgerottet wurden, gab es jedes Mal einen öffentlichen Aufschrei. Welche andere Stadt auf der Welt würde schon die Kastration streunender Hunde bezahlen? Oder den Vorschlag machen, Rentner, die sie fütterten, auch noch zu belohnen? Dennoch behauptete Natalja, dass eine glückliche russische Frau einen Hund besaß.
Sie war die perfekte Tochter gewesen (eine begabte Turnerin, intelligent, warmherzig); inzwischen war sie eine unwiderstehliche Geliebte (unabhängig, leidenschaftlich, bezaubernd) und würde eine ausgezeichnete Ehefrau abgeben (wenn auch nicht so häuslich wie viele andere). Sie würde eine gute Mutter, ein geliebtes Tantchen und die russischste babuschka aller babuschkas sein: Und dieser Inbegriff einer modernen russischen Frau war ohne einen Hund anscheinend unvollständig.
Dimitri lächelte seufzend. Er würde sein Möglichstestun, um es noch eine Weile hinauszuschieben. Doch dann kam der Hundejunge, und Natalja ließ das Thema fallen.
Als er das kleine, behaarte Kind halb nackt und zitternd in einer Ecke des milizia -Busses kauern sah, spürte Dimitri, wie Ekel und Mitleid in ihm aufstiegen. Doch als er eine Beruhigungsspritze aufzog, überlief ihn ein seltsam freudiger Schauer, nur abgeschwächt durch ein Gefühl von Scham. Das war Neuland.
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