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Dog Boy

Dog Boy

Titel: Dog Boy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Hornung
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drei zusammen die Treppe hinauf, und Romotschka schwitzte aus allen Poren. Er ging neben dem Mann, da war es am sichersten. Die Frau wirkte flinker und schien entschlossener zu sein. Neben den gedämpften Ausdünstungen eines ausgewachsenen Männchens roch der Mann nach Leder, nach mit Seife geschrubbten Händen und … Holz. Nach Herbst. So etwas wie ihn hatte Romotschka noch nie gerochen.

IV
    Prawda Moskwy, 10. Juni 2003
     
    Moskauer Hundejunge gefangen
     
    Das Moskauer Jugendamt hat Gerüchte bestätigt, dass vor kurzem nördlich der Hauptstadt in der Gegend von Sagorodje ein neuzeitlicher Mowgli eingefangen wurde. Der bellende und auf allen vieren laufende zweijährige Junge wurde von einem Rudel wilder Hunde begleitet.
    Experten zufolge hat er seit frühester Kindheit bei den Hunden gelebt. Er ist sehr klein, unterernährt und am ganzen Körper behaart, kann sich auf Händen und Füßen blitzartig fortbewegen und benutzt ausschließlich Hundelaute.
    Aufgrund seines Alters ist der Moskauer Hundejunge eine absolute Seltenheit. Einige Fälle älterer Straßenkinder, die bei Tieren lebten, wurden in letzter Zeit gut dokumentiert. Wild lebende Kinder dagegen, die wie dieser Junge von Tieren aufgezogen werden, finden zwar häufig in der Literatur Erwähnung, an der Glaubwürdigkeit der bekannten Beispiele aus dem wirklichen Leben bestehen jedoch begründete Zweifel.
    Über die langfristigen körperlichen und geistigen Auswirkungen einer bei Hunden verbrachten Kindheit ist bislang nichts bekannt. Unser russischer Hundejunge wurde im Anton Makarenko-Kinderzentrum untergebracht, wo er bestens betreut und von führenden Wissenschaftlern untersucht wird. Die Fortschritte des Hundejungen sind für die Wissenschaft weltweit von großem Interesse.
     
    Dr. Dimitri Pastuschenko legte seufzend die Zeitung beiseite. Wenn das Ganze nur so einfach wäre. Vor drei Wochen hätte diese Geschichte noch ausgereicht; aber jetzt mussten sie eine Erklärung abgeben. Ein Hundejunge mit einem Bruder war wohl nicht das Wahre. Er war bloßgestellt. Der Lächerlichkeit preisgegeben. Und nicht nur wegen der Hundejungen, sondern wegen seiner eitlen Selbstzufriedenheit! Seiner Hoffnungen.
    Seiner Überzeugungen. Beim Abendessen hatte er mehr als einmal gesagt, der Mensch sei im Grunde seines Herzens ein Tier. Wenn man junge Menschen heilen will, muss man erst ihren animalischen Anteil begreifen und dafür sorgen, dass sie Sicherheit, Nahrung und Liebe bekommen . Was bedeutete das eigentlich? Die Erinnerung an seine eigene Stimme verhöhnte ihn. Wir können uns nie ganz von unserem animalischen Ich lossagen; denken Sie daran, wie wir Tiere in der Kunst oder als Metapher verwenden. Denken Sie an all die Tiermythen und -sagen – Inkarnationen, bedeutsame Interaktion zwischen Mensch und Tier. Sie müssen zugeben, dass diese Geschichten etwas Wesentliches zum Ausdruck bringen . Das hatte er tatsächlich behauptet, seine Stimme weltmännisch und überzeugend.
    Er blickte von der Zeitung auf. In seinem Büro wimmelte es von Tieren. Er sammelte alte Tierfiguren aus Bronze oder Stein. Sogar die aus Holz geschnitzten, in Massenproduktion hergestellten Bären, die man überall auf dem Ismailowo-Markt fand; und er mochte Kuckucksuhren.
    Doch jetzt stieg bei allem Tierischen ein Gefühl von Abscheu in ihm auf.
    »Natürlich sind wir Tiere«, sagte er laut, als seine Majak-Kuckucksuhr surrte, ihre Blasebälge aufpumpte und die halbe Stunde ausrief. Er wusste, was er damit meinte. DasAnimalische war die Basis, das verborgene Fundament; aber das Menschliche – das war das Gebäude, die erstaunliche, modellierte Persönlichkeit.
     
    ~
     
    Drei Wochen zuvor hatte Dimitri noch unter einem frühmorgendlichen Streit mit Natalja gelitten. Sie wollte, dass sie sich einen Hund anschafften; ihm war der Gedanke zuwider. Einer ihrer Nachbarn besaß einen Moskauer Wachhund, eine Kreuzung aus Owtscharka und Bernhardiner, »kräftig, intelligent, gerissen und überraschend flink«, hatte Juri Andrejewitsch betont.
    Der Hund hieß Maltschik. Dimitri, den die grenzenlose Liebe seines Nachbarn zu seinem Hund fürchterlich langweilte, hatte gegenüber Natalja einmal die Theorie aufgestellt, die Liebe zu Tieren offenbare einen Mangel oder ein Bedürfnis aus früher Kindheit. Die Zuneigung zwischen unterschiedlichen Arten sei nur eine Projektion, und in dieser Hinsicht sei es aufschlussreich, dass Juri den Hund »Junge« genannt habe. Ein Mensch, der einen Hund gernhabe,

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