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Dog Boy

Dog Boy

Titel: Dog Boy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Hornung
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Voilà! Das menschliche Tier: der lebende Beweis für einen gescheiterten Versuch, diese große Kluft zu überbrücken.
    Das Kind fletschte seine weißen Milchzähne und knurrte, eine nutzlose Abwehrgeste. Dimitri erschauderte. Ihr Hundenarren mit euren rührseligen anthropomorphen Hirngespinsten – das hier solltet ihr mal sehen!
    Von all den geschundenen und unterentwickelten Kindern, mit denen Dimitri je gearbeitet hatte, empfand er diesen Jungen als die größte Tragödie, es war kaum zu glauben, dass der Kleine überlebt hatte. Trotz seines Entsetzens hoffte er, es würde sich bestätigen, dass der Junge von Hunden aufgezogen worden war.
     
    »Nennen wir ihn Marko.« Dimitri trat nach dem Mittagessen in Nataljas Büro und blieb unvermittelt stehen. Sie wirkte angespannt und kehrte ihm beim Tippen den Rücken zu: Sie hatte ihren Schreibtisch umgestellt, damit sie aus dem Fenster schauen konnte und nicht die Tür anblicken musste. Wer sonst würde so etwas tun? Wer braucht in seinem Büro nicht einen kleinen Schutzwall? Sie trommelte noch schneller auf die Tastatur und wedelte entschuldigend mit der Hand. Ihr Haar war eine wallende kupferrote Mähne, die ihre Schultern bedeckte. Er roch ihr Shampoo. Dimitri stand hinter ihrem Stuhl und wartete ungeduldig darauf, dass sie seine Namenswahl für den Jungen billigte. Am liebsten hätte er sie gefragt, ob sie sich die Sache mit dem Hund mittlerweile nicht doch anders überlegt habe. Doch angesichts ihrer bisherigen, für ihn unbegreiflichen Begründungen befürchtete er, dass sie vielleicht dachte, die Vorfälle dieses Tages hätten ihre Argumente irgendwie untermauert. Und er wollte sie küssen. Um die Missstimmung vom Vormittag zu zerstreuen. »Der Name eines Kämpfers – bedenke seine an Romulus erinnernden ersten Jahre!«
    Natalja sah von ihrer Tastatur auf, und er spürte, wie ein Gefühl der Freude in ihm aufstieg. An dem Schatten, der über ihr sonst so offenes Gesicht zuckte, erkannte er, dass der Hundejunge großen Eindruck auf sie gemacht hatte. Plötzlich funkelten ihre trüben Augen.
    »Sei vorsichtig – sonst stürzt er noch die Regierung!«
    »Natalja, wir müssen einfach hoffen, dass er irgendwann aufsteht oder spricht.« Er errötete. Wenn er mit Natalja sprach, klang er oft schwülstig, und seine Worte drängten sich aneinander. In ihrer Gesellschaft fühlte er sich jedes Mal unbeholfen vor stummer Freude. Sie dagegen schien immer perfekt, und ihre Stimme klang glockenklar.
    »Na ja, vielleicht vergrößert ein so starker Name seine Überlebenschancen«, sagte sie gut gelaunt, wie immer ungeduldig bei jedem Anflug von Trübsinn.
    Doch nach Nataljas Einschätzung war der Junge schwächlich. Sie sagte, seine Bewegungen hätten etwas Zittriges, das könne mit einem Mangel an Spurenelementen zusammenhängen. Am Freitag kämen die Testergebnisse.
    Dimitri war zuversichtlich. Seine Forschungsarbeiten über die Entwicklung sprachlicher und kognitiver Fähigkeiten bei Kindern mit Reizdeprivation waren in ganz Europa bekannt und erst in diesem Jahr ins Deutsche, Fran-zösische und Englische übersetzt worden. Auch seine Vorlesungen an der Universität waren sehr gut besucht. Bei Kindern, die kaum sprechen können, doch ansonsten normale Fähigkeiten besitzen, ist allgemein eine überdurchschnittliche Entwicklungsleistung festzustellen; in einigen Fällen erreichten sie das altersgemäße Niveau schon nach wenigen Jahren . Er hörte, wie seine eigene Stimme diese Worte aussprach, und wusste, dass man ihm glaubte.
     
    ~
     
    Dimitri befand sich auf dem Höhepunkt seiner Karriere, als – fast wie eine Belohnung – der Hundejunge auftauchte: ein spektakulärer Zuckerguss auf einer köstlichen Torte. Seine Stelle als Direktor des Anton-Makarenko-Kinderzentrums war das Ergebnis seiner wissenschaftlichen Erfolge und der Tatsache, dass er sich stets eifrig bemüht hatte, seinen Ehrgeiz nicht zu deutlich an den Tag zu legen. Er war sich der Auszeichnung bewusst und achtete darauf, keinen der Leute zu provozieren, die sie ihm verliehen hatten. Das Zentrum war eine Vorzeigeinstitution, die ihre Existenz einem vernichtenden internationalen Gutachten über den örtlichen Kindesmissbrauch in Heimen und Waisenhäusern verdankte. Es war ein Anschauungsobjekt für ausländische Journalisten, und hier hatte er die Möglichkeit, seiner Forschung das nötige Gewicht zu verleihen.
    Und dann das Personal: Er hatte ein hervorragendes Team. Natalja war unentbehrlich, sie hielt

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