Dogma
gesträubt, noch einmal Räume zu betreten, die an Höhlen erinnerten, aber die beruhigende Art des Hotelbesitzers und der Duft des Eintopfs, den seine Frau gerade kochte – weiße Bohnen, Lamm und Tomaten –, ließen sie ihr Unbehagen bald vergessen.
Reilly, der sich mit Hilfe zahlreicher Tassen starken, süßen türkischen Kaffees auf den Beinen hielt, brachte fast eine Stunde im Büro des Hotelbesitzers zu und telefonierte mit Jansson, Aparo und ein paar weiteren Agenten, die alle in einem Konferenzraum an der Federal Plaza im Süden Manhattans saßen.
Es gab keine guten Nachrichten, allerdings hatte Reilly von dieser Seite auch nicht viel erwartet. Das Geschehen spielte sich zu weit außerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs ab. Wenn es gelänge, den Iraner aufzuspüren, dann nur dank der Bemühungen der türkischen Behörden, nicht des FBI . Sie hatten keine relevanten Neuigkeiten über den Bombenanschlag im Vatikan oder den Überfall auf den Patriarchensitz in Istanbul, und es hatte keinen Sinn, eine weitere Drohne anzufordern, solange sie keinerlei Hinweise darauf hatten, wo der Iraner sich aufhielt.
Eine neue Information gab es allerdings doch. In Italien, in den Bergen nahe einem Sommer-Urlaubsort, war eine Leiche gefunden worden. Man hatte den Toten als den Verwalter eines kleinen Flugplatzes etwa anderthalb Autostunden östlich von Rom identifiziert. Die Leiche war in einem Zustand, wie die Ermittler es noch nie gesehen hatten. Der Ausdruck «extremes Körpertrauma» beschrieb es nicht einmal annähernd. Sämtliche Knochen waren völlig zertrümmert. Die Ermittler hatten gefolgert, dass der Mann aus großer Höhe gestürzt sein musste, entweder aus einem Helikopter oder aus einem Flugzeug. Gestürzt, oder wohl eher gestürzt worden. Und da sich der Flugplatz in der Nähe von Rom befand, nahmen sie an, es könnte eine Verbindung zu dem Bombenanschlag im Vatikan bestehen. Auch Reilly hielt das für sehr wahrscheinlich.
Er berichtete von den Bemerkungen des Iraners über Operation Ajax und den Abschuss des Flugzeugs. Es überraschte ihn nicht wirklich, den anderen erst einmal erklären zu müssen, was es damit auf sich hatte. Jansson versprach, alles zu überprüfen, was ihnen zur Passagierliste des abgeschossenen Fliegers vorlag.
«Sie sollten jetzt zurückkommen», schloss Jansson. «Wie es scheint, ist unser Mann untergetaucht. Wer weiß, wo er als Nächstes in Erscheinung tritt. So lange können Sie da draußen nichts mehr ausrichten. Überlassen Sie das Weitere den Türken und Interpol.»
«Alles klar», erwiderte Reilly mürrisch. Er war zu erschöpft, um eine Diskussion anzufangen, und sosehr es ihm auch widerstrebte, die Jagd aufzugeben – ihm war klar, dass Jansson wahrscheinlich recht hatte. So, wie die Dinge lagen, hatte es wenig Sinn, vor Ort zu bleiben.
«Kehren Sie nach Istanbul zurück», wies der stellvertretende Leiter des New Yorker Field Office ihn an. «Die Botschaft wird sich um ein Beförderungsmittel für Sie kümmern.»
«Aber sorgen Sie dafür, dass Tess auch berücksichtigt wird», sagte Reilly.
«Okay. Wir sprechen uns wieder, wenn Sie zurück sind. Wir haben einiges zu bereden», fügte Jansson ein wenig steif hinzu, ehe er das Gespräch beendete.
Diese letzte Bemerkung behagte Reilly nicht. Offenbar würde Jansson ihm seinen Alleingang nicht so ohne weiteres durchgehen lassen. Er, Reilly, würde von seinem Chef gründlich die Leviten gelesen bekommen.
Als er wieder das Zimmer betrat, kam Tess gerade aus dem Bad, frisch geduscht und in ein flauschiges weißes Badetuch gewickelt. Als sie ihn sah, breitete sich ein strahlendes Lächeln auf ihrem Gesicht aus – die Art von Lächeln, die ihn im Innersten berührte und ein Feuer in ihm entfachte. Trotz aller Sorgen und Grübeleien, die ihm durch den Kopf gingen, begehrte er sie mehr als je zuvor; am liebsten hätte er sie auf der Stelle in die Arme geschlossen und Tage mit ihr im Bett verbracht. Er zog sie an sich und küsste sie lange und innig, genoss es, die glatte Haut ihrer Schultern unter den Händen zu fühlen, aber weiter ging er nicht. Dazu war sein innerer Aufruhr zu groß.
Tess spürte es gleich. «Was gibt’s Neues?»
Reilly nahm sich eine Dose Cola aus der Minibar und setzte sich auf das Bett.
«Nicht viel. Unser Mann ist verschwunden – das ist mehr oder weniger alles.»
Tess stieß langsam die Luft aus. «Und was jetzt?»
«Wir fliegen nach Hause.»
Sie sah ihn niedergeschlagen an.
Weitere Kostenlose Bücher