Dogma
der geringsten Bewegung rasende Schmerzen.
Schmerzen, die er verdrängen musste, um sich verteidigen zu können.
Qassem kam unbeirrt auf ihn zu, den Blick fest auf Conrad gerichtet, den Säbel gesenkt. Plötzlich fiel er in Laufschritt, rannte, hob mit einem lauten Kampfschrei seinen Säbel und schlug damit in vollem Lauf auf Conrad ein.
Conrad warf sich zur Seite, um dem Streich auszuweichen, und wehrte die Klinge mit seinem Säbel ab. Metall schlug krachend auf Metall, und weißglühender Schmerz durchfuhr Conrads Schulter. Seine Knie drohten nachzugeben, aber das durfte er jetzt nicht zulassen, er durfte sich nicht von dem Schmerz überwältigen lassen. Qassem fuhr herum, wirbelte seine Klinge einmal im Kreis und ließ sie dann erneut gegen Conrads Säbel niederkrachen.
Der dritte Streich schlug Conrad den Säbel aus der Hand – sein Griff konnte dem rasenden Schmerz in der Schulter nicht mehr standhalten.
Qassem stand ihm schwer atmend gegenüber und grinste. Dann fiel sein Blick auf den Dolch, der an Conrads Unterarm gebunden war, und er verzog höhnisch das Gesicht.
«Ich weiß nicht, ob ich dich töten oder dir nur auch noch die andere Hand abschlagen soll – vielleicht auch die Füße – und dich als jämmerliche, verkrüppelte Made weiterleben lasse», sagte er und kicherte hämisch. «Vielleicht sollte ich das mit euch beiden machen.»
Conrads Beine versagten ihm den Dienst. Das Atmen fiel ihm schwer, und er schmeckte Blut im Mund. Als ihm bewusstwurde, was das bedeutete, krampfte sein Herz sich zusammen. Der Pfeil hatte nicht nur seine Schulter durchbohrt. Er hatte auch die Lunge verletzt.
Ihm war klar, wie das enden würde. Er hatte es oft genug gesehen.
Er blickte zu Qassem auf und erkannte in dessen Gesicht denselben Gedanken. Der Mann begegnete einen Moment lang seinem Blick, dann hob er wie ein Scharfrichter den Säbel und ließ ihn über Conrad schweben.
«Zur Hölle damit. Ich sollte es besser gleich tun, ehe du mich um das Vergnügen bringst –»
Plötzlich verzerrte sich sein Gesicht – etwas traf ihn von hinten so heftig, dass es seinen Körper durchbohrte und an der Brust wieder austrat.
Ein Bolzen.
Qassem starrte einen Moment lang entgeistert auf die bluttriefende Spitze, die zwischen seinen Rippen herausragte, dann drehte er sich langsam um. Conrad folgte seinem Blick.
Neben Conrads Pferd stand Maysoon.
Eine Armbrust in den Händen.
Das Gesicht von Schmerz gezeichnet.
Die Schwester der Hebamme, die Frau, die der Türke als Geisel genommen hatte, stand neben ihr, ein Bündel Bolzen in der Hand.
Qassem wollte auf die beiden zugehen, aber so weit ließ Conrad es nicht kommen. Er stemmte sich mühsam hoch, warf sich mit dem Schwung seines Gewichts von hinten gegen den Türken und rammte ihm den Dolch tief in den Rücken, drehte und bohrte, um so viele Organe wie möglich zu verletzen.
Die beiden Männer stürzten zu Boden, wo sie blutüberströmt und staubbedeckt liegen blieben.
Der Türke krampfte und röchelte noch ein paar Sekunden lang, die aufgerissenen Augen in stummer Wut auf Conrad gerichtet, dann zuckte sein Körper ein letztes Mal und erschlaffte.
Conrad ließ den Kopf auf die harte, trockene Erde sinken und starrte in den Himmel hinauf. Im nächsten Moment war Maysoon bei ihm, nahm seinen Kopf auf den Schoß und fuhr mit den Fingern durch sein Haar. Tränen liefen ihr übers Gesicht.
«Geh nicht von mir», schluchzte sie.
«Niemals», erwiderte er, doch ihm war klar, dass das eine Lüge war. Aus seinem Mundwinkel lief Blut, und sein Atem ging stoßweise. Sosehr er auch nach Luft rang, seine Lunge konnte sie nicht mehr aufnehmen.
«Bring es in Sicherheit», brachte er mühsam heraus. «Finde ein sicheres Versteck. Vielleicht wird eines Tages jemand zu Ende bringen, was wir begonnen haben.»
«Das werde ich. Ich verspreche es dir … Ich werde …»
Erschreckend schnell färbten sich seine Lippen blau, und seine Haut wurde bleich. Seine Zunge wurde schwer, und als das Gehirn keinen Sauerstoff mehr bekam, wurden seine Worte immer unverständlicher.
Und dann war es vorbei.
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Kapitel Siebenundfünfzig
«Sie haben ihn dort in der Kirche begraben. Anschließend ist sie nach Konya gekommen, um hier zu leben», fuhr die alte Frau fort. «Sie ist einer
Tekke
beigetreten. In den folgenden Monaten ist sie immer wieder zu der Höhle geritten, allein, mit einem zweiten Pferd am Zügel, und hat nach und nach die Bücher geholt. Sie hat sie
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