Dogma
Organisation, die der Vorherrschaft Roms etwas entgegensetzen und den Einfluss des Papstes einschränken konnte. Sie hatten all dies hier zur Verfügung», bekräftigte sie noch einmal mit einer Geste zu der beeindruckenden Schriftensammlung, die sie umgab. «Wahrscheinlich hätte allein die Drohung, diese Schriften öffentlich zu machen, den Papst eingeschüchtert und er hätte alle ihre Forderungen erfüllt; aber sie fanden, sie bräuchten noch mehr. Um wirklich sicherzugehen. Ein einziges Buch, eine Schrift von solcher Bedeutung, dass sie Rom damit in die Knie zwingen konnten. Und so beschlossen sie, das bedeutsamste, letztgültige Evangelium zu erschaffen.»
«Das persönliche Tagebuch Jesu», ergänzte Tess.
«Genau.» Die alte Frau nickte.
Tess sah Reilly an, und mit einem Schlag brach die Erinnerung an jenen schicksalhaften Moment vor mehreren Jahren wieder über sie herein. Sie beide auf der Klippe. Die Pergamentseiten, die in die Tiefe segelten und von der Brandung verschlungen wurden. Die Frage, auf die sie nie eine Antwort bekommen hatten – bis jetzt.
Die alte Frau hatte sich jetzt in Fahrt geredet. «Sie hatten all dies hier als Grundlage, um ihr Meisterwerk zu fälschen, so, dass alles stimmte. Außerdem konnten sie damit ihren angeblichen Fund über jeden Zweifel erhaben machen. Schließlich sind all diese Schriften echt. Da war es absolut glaubhaft, dass das Tagebuch von Jesus selbst Teil der Sammlung wäre. Als es fertiggestellt war, haben sie gehandelt. Sie haben andere gesucht, die ihre Sorge teilten. Ritter, gebildete, aufgeklärte Männer aus ganz Europa, die sie über die Jahre in der Bibliothek kennengelernt hatten. Neun dieser Männer.»
«Die ersten neun Tempelritter. Hugues de Payens und seine Männer», ergänzte Tess.
«Die Ritter sind nach Jerusalem gegangen und haben sich an den König gewandt. Sie sagten, sie wollten die Pilger beschützen, die in die Heilige Stadt kamen, und haben ihn dazu gebracht, ihnen die Ruinen des alten Tempels als Hauptquartier zu überlassen. Nach Jahren angeblicher Ausgrabungen dort haben sie eine Nachricht nach Rom geschickt, sie hätten etwas gefunden. Etwas … höchst Beunruhigendes. Der Papst schickte Gesandte. Die Ritter zeigten ihnen einige der Evangelien, die Sie hier sehen. Und dann ihr Glanzstück. Die Männer des Papstes waren entsetzt. Sie sind nach Rom zurückgekehrt und haben den Fund bestätigt. Daraufhin gab der Papst den Templern alles, was sie wollten, um sich ihr Stillschweigen zu erkaufen.»
Tess schwirrte der Kopf. Es war nicht leicht, das alles zu verarbeiten. «Und danach haben die Templer die Evangelien wieder hierher zurückgebracht beziehungsweise nach Konstantinopel?»
«Dort waren sie bereits seit Jahrhunderten in Sicherheit gewesen. Das Heilige Land war Kriegsgebiet. Die Hüter wollten die Evangelien sicher aufbewahrt wissen.»
«Aber nicht das Tagebuch Jesu?»
«Nein», erwiderte die alte Frau. «Das haben die Templer in Akkon behalten. Es war die Quelle ihrer Macht. Sie wollten es bei sich haben und selbst darüber wachen. Das war ein Fehler. Aber vergessen Sie nicht, es war eine Fälschung. Aus der Sicht der Hüter war es lediglich von strategischem Wert, nicht von historischem.»
Tess fügte im Geiste die Puzzleteile zusammen. «Und dann, 1203, steht die Armee des Papstes vor den Toren von Konstantinopel. Die Hüter sind besorgt um ihren Schatz. Sie senden einen Notruf.»
«Ja. Die Templer schicken daraufhin ein paar Männer, die ihn aus der Stadt schmuggeln und in Sicherheit bringen sollen. Aber die Schriften gehen verloren, bis es Conrad und Maysoon gelingt, sie zurückzuerobern … hundert Jahre später.»
«Nur ist es da schon zu spät, um damit etwas auszurichten. Das Heilige Land ist wieder in der Hand der Muslime, das gefälschte Tagebuch Christi ist verschollen, und der Templerorden existiert nicht mehr – der französische König hat ihn mit der Hilfe seines Marionettenpapstes ausgelöscht.» Tess dachte stirnrunzelnd an die unglückliche Geschichte der letzten Überlebenden der
Faucon du Temple
, der sie und Reilly vor drei Jahren auf die Spur gekommen waren. «Denken Sie nur … Wenn Conrad diesen Schatz ein paar Jahre früher entdeckt hätte, dann hätte alles anders kommen können.»
Die alte Frau schüttelte den Kopf. «Unmöglich. Conrad hat nur davon erfahren, weil er in Konstantinopel lebte. Und dort lebte er ja gerade deswegen, weil die Templer verfolgt wurden.»
Tess musste ihr recht
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