Dogma
Patriarchen von Alexandria eingewickelt. Jetzt lagen sie offen in dem Kästchen, wo sie sich, vom Alter gebleicht, gelblich grau vom Burgunderrot der Samtpolsterung abhoben.
Die Hände des Bischofs zitterten, als seine dünnen Finger mit den langen Nägeln noch einmal die Knochen berührten. Sie waren vollständig vorhanden, vom Sprungbein bis zu den Mittelfußknochen.
«Heilig, allerdings. Der Fuß des heiligen Philippus», murmelte er andächtig. «Des fünften Apostels.» Er bekreuzigte sich zum wiederholten Male.
«Des Mannes, der bis zum bitteren Ende nicht aufhörte zu predigen, selbst als er kopfunter gekreuzigt wurde», ergänzte Conrad. «Ein wahrer Märtyrer.»
«Wie seid Ihr dazu gekommen?», fragte der Priester.
«Bitte, Pater. Dies ist keine Beichte.» Conrad lächelte und schwieg einen Moment lang, ehe er sich vorbeugte und die Stimme senkte. «In dieser Stadt gibt es viele Krypten. Unter der Kapelle der Heiligen Jungfrau von Pharos, in den Mauern des Großen Palastes, in der Pammakaristos-Kirche … Man braucht nur zu wissen, wo man suchen muss. Dort liegen die heiligsten Schätze, kurz vor der großen Plünderung sicher versteckt, und jetzt warten sie nur darauf, entdeckt und wieder verehrt zu werden, wie es ihnen gebührt. Und ich kenne mich in diesen unterirdischen Gewölben aus wie kein anderer.» Er lächelte. «Aber ich muss wissen, ob Ihr dies hier wollt oder nicht, Pater. Es warten schon andere Käufer … und ich brauche das Geld, um meine Arbeit fortsetzen zu können, um irgendwann einmal den größten all dieser Schätze zu bergen.»
Der Bischof sah ihn mit großen Augen an. «Was ist das für ein Schatz?»
Conrad beugte sich noch weiter vor. «Das Mandylion», flüsterte er.
Der Bischof sog heftig die Luft ein, und sein Gesicht begann zu leuchten. «Das Mandylion von Edessa?»
«Ebenjenes. Und ich glaube, ich bin dicht dran.»
Die Finger des Bischofs begannen gierig zu zucken. «Wenn Ihr es tatsächlich finden solltet», sagte er, «dann hätte ich allergrößtes Interesse daran, es für unsere Kathedrale zu erwerben.»
Conrad legte den Kopf schief. «Auch viele andere meiner Kunden sind daran interessiert», erwiderte er unverbindlich. «Aber ich weiß nicht, ob ich mich überhaupt davon trennen würde. Immerhin trägt es das Bildnis unseres Herrn.»
Die Lippen des alten Priesters zitterten jetzt sichtbar, und seine Finger krümmten sich in der Luft, wie um etwas Unsichtbares zu greifen. «Bitte», sagte er flehentlich. «Ihr müsst es versprechen. Lasst mich wissen, wenn Ihr es gefunden habt. Ich werde Euch fürstlich entlohnen.»
Conrad ergriff die faltigen Hände des Mannes und drückte sie wieder auf den Tisch hinunter. «Lasst uns erst diese Angelegenheit zum Abschluss bringen. Alles Weitere können wir zu gegebener Zeit besprechen.»
Der Bischof musterte ihn einen Augenblick lang, dann verzogen sich seine schmalen Lippen zu einem Lächeln, das die faulen Zähne entblößte – ein Bild des Verfalls, passend zu den Knochen, die er kaufte. Die beiden Männer vereinbarten, wann die Übergabe stattfinden sollte, dann erhob sich der alte Mann und ging hinaus.
Conrad packte mit einem selbstzufriedenen Grinsen die Knochen wieder ein und rief nach einem Krug Bier. Dann sah er sich in dem belebten Gastraum der Taverne um. Kaufleute, Adlige, gemeines Volk und Huren tummelten sich, machten Geschäfte und betranken sich. Der Raum war erfüllt von einem Gewirr lauter Stimmen in einfachstem Italienisch und Gelächter.
Welch ein Gegensatz zu seinem früheren entsagungsvollen Leben als Mönchsritter in der Armen Ritterschaft Christi und des salomonischen Tempels zu Jerusalem, dem Templerorden.
Er lächelte. Die Stadt war gut zu ihm gewesen. Sie hatte ihn aufgenommen und es ihm ermöglicht, sich ein neues Leben aufzubauen, auch wenn das nicht leicht gewesen war nach all den Rückschlägen und Katastrophen und der Verfolgung, unter der er und seine Brüder gelitten hatten. Aber jetzt standen die Dinge für ihn gut. Jeder neue Verkauf förderte seinen Ruf. Und ganz besonders genoss er es, seinen Wohlstand auf Kosten derer zu erwerben, die für den Untergang seines Ordens verantwortlich waren; jener, derentwegen es ihn nach Konstantinopel verschlagen hatte.
Wenn sie wüssten, dachte er mit tiefer Genugtuung.
Wie die Stadt, in der er lebte, war auch Conrad aus den Tiefen eines Elends aufgestiegen, für das der Vatikan verantwortlich war. Begonnen hatte alles mit dem Fall von Akkon
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