Dogma
topographische Karte des Erciyes und tippte mit dem Finger auf Istanbul in der oberen linken Ecke. «Hier, sieh mal.»
Reilly beugte sich vor.
«Okay», setzte sie an. «Konstantinopel ist hier oben. Von da sind Everard und sein Trupp – die ersten Templer, die in das Kloster gekommen sind – aufgebrochen.»
Sie warf einen Blick zu Reilly, um sich zu vergewissern, dass er ihr zuhörte. Er nickte. «Ich bin ganz Ohr.»
«Und sie wollten zurück nach Antiochia, zu dem nächsten Stützpunkt der Templer.» Tess zeigte auf die betreffende Stelle an der östlichen Mittelmeerküste. «Aber wie wir wissen, sind sie nur bis hier gekommen», sie deutete auf die Mitte der Karte, «zum Mons Argaeus, wo das Kloster sich befindet.»
«Das ist … eine beeindruckende Erkenntnis», witzelte Reilly.
«Sieh dir den Berg an, Idiot. Er ist rund. Rund, wie es sich für einen erloschenen Vulkan gehört. Sie hätten leicht einen Bogen darum machen können, nicht wahr?» Sie zog das Wort «rund» spöttisch in die Länge und fuhr mit dem Finger auf der Karte um den Berg. «Er steht nicht wie eine Mauer oder sonst eine Barriere da, die sie hätten überwinden müssen. Und trotzdem haben sie eine Route über den Berghang gewählt.»
Reilly dachte kurz nach. «Das erscheint unsinnig – es sei denn, sie versuchten, unbemerkt zu bleiben.»
Tess grinste in spöttischer Bewunderung. «Du hast in der FBI Academy in Quantico ja wirklich einiges gelernt. Deine Fähigkeit, die verborgensten Bezüge zu erkennen … Ich bin zutiefst beeindruckt.»
«Wenn du dich wieder eingekriegt hast, könntest du mir vielleicht verraten, was du denkst.»
Sie wurde wieder ernst. «Everard und sein Trupp versuchten in der Tat, unbemerkt zu bleiben. Und mit gutem Grund. Das alles geschah 1203, und damals beherrschten türkische Seldschuken weite Teile dieser Region.» Sie umkreiste mit dem Finger ein Gebiet in der Landesmitte. «Für die Templer war es also feindliches Territorium, auf dem es von fanatischen Ghazis nur so wimmelte. Wenn sie nur einen Funken Verstand besaßen, müssen unsere Templer alles darangesetzt haben, weite, offene Flächen zu vermeiden. Deshalb haben sie, wo immer es ging, Gebirgspfade benutzt. Und so sind sie auf das Kloster gestoßen.»
«Moment mal – ein christliches Kloster auf muslimischem Territorium?»
«Die Seldschuken haben das Christentum geduldet. Die Christen konnten ihre Religion offen ausüben, ohne verfolgt zu werden. Aber das war vor der Zeit der Sultane und des Osmanischen Reichs. Dieses Gebiet war wie der Wilde Westen. All diese umherziehenden kriegerischen Banden – so ähnlich wie die Trüppchen konföderierter Soldaten nach dem Bürgerkrieg. Sie waren gefährlich, und deshalb wurden Kirchen und Klöster in Höhlen und an Bergen gebaut, wo sie nicht leicht zu finden waren.»
«Okay, aber das bringt uns auch nicht weiter», stellte Reilly fest. «Everard und seine Leute können den Berg so oder andersherum umrundet haben. Das heißt, wir müssen immer noch den ganzen Berg beobachten.»
«Vielleicht. Aber sieh dir das mal an.» Tess legte die Bergsteigerkarte jetzt wieder über alle anderen Unterlagen auf dem Tisch. «Hier, die Höhenlinien, da und da.» Sie zeigte auf einen Bereich ein wenig westlich der Nordwand des Berges, etwa dort, wo bei einer Uhr die Elf gewesen wäre. «Siehst du, wie dicht die beieinanderliegen?»
Die Linien, die die Höhe anzeigten – in diesem Fall in Fünfzig-Meter-Schritten – liefen hier so dicht zusammen, dass sie fast zu einer einzigen Linie wurden. Hier musste die Bergwand sehr steil sein. Oder mehr als steil – nahezu senkrecht.
«Das ist eine Steilwand», erklärte Tess. Ihre Augen leuchteten vor Aufregung. «Und zwar eine große. Die müssen sie schon von weitem gesehen haben. Folglich werden sie sich für die andere Richtung entschieden haben – gegen den Uhrzeigersinn. Was im Übrigen sowieso der kürzere Weg war.»
Reillys Interesse stieg. Er beugte sich vor, um besser sehen zu können. «Was, wenn sie von weiter östlich kamen? Dann wären sie auf der anderen Seite der Steilwand auf den Berg gestoßen und hätten ihn in der anderen Richtung umrundet.»
«Das bezweifle ich», hielt Tess dagegen. «Sieh dir mal die Gegend hier an, nördlich des Berges. Kayseri ist mehr als fünftausend Jahre alt. Es war eine der wichtigsten seldschukischen Städte. Wenn unsere Templer unbemerkt bleiben wollten, werden sie sich auch von dort ferngehalten haben – und
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