Dogma
erloschenen Vulkans anstieg.
Der Berg selbst bot einen eindrucksvollen Anblick. Seit die Silhouette vor mehr als einer Stunde in der Ferne aufgetaucht war, hatte Zahed Mühe, den Blick davon loszureißen. Das majestätische Bergmassiv, ein Postkartenmotiv, wurde mit jeder Meile größer und schien geradezu nach ihm zu rufen. Wie der Kilimandscharo und andere ruhende Vulkane war er ein einzeln stehender Berg, ein gewaltiger, oben abgeflachter Felskegel, der das Flachland beherrschte, aus dem er hervorgebrochen war. Und obwohl es Hochsommer war und die Temperaturanzeige am Armaturenbrett des Discovery fünfunddreißig Grad angab, waren die höchsten Gipfel von Schneekappen gekrönt.
Zahed bog von der Straße ab zu dem Treffpunkt, einer einsamen Tankstelle am Rand des Städtchens Karakoyunlu. Der Bergführer, Suleyman Toprak, wartete schon neben einem ramponierten Toyota Jeep, der offenbar bereits seit etlichen Jahren auf unbefestigten Bergpfaden und querfeldein gute Dienste leistete.
Zahed hielt dahinter. Er griff nach einer Pistole, die er in die Jackentasche steckte. Dabei gab er sich keine Mühe, sie vor Simmons zu verbergen.
Dann sah er seinen Gefangenen an und hob mahnend den Zeigefinger, allerdings so, dass der Bergführer es nicht sehen konnte. Dieser kam jetzt auf sie zu. «Denken Sie dran, halten Sie sich strikt an die Regeln. Ihr Leben – und seins» – er deutete auf den Bergführer – «stehen auf dem Spiel.»
Simmons biss die Zähne zusammen, sodass seine Kiefermuskeln hervortraten. Er sagte «Okay» und stieg aus dem Wagen.
Toprak war ein geselliger Typ Ende zwanzig, der aussah, als sei er mit Doc Browns De-Lorean-Flitzer geradewegs aus Woodstock gekommen. Er hatte eine dichte, lange schwarze Mähne mit Mittelscheitel und einen Ziegenbart, der aussah wie mit dem Millimetermaß gestutzt. Der junge Mann trug khakifarbene Cargo-Bermudas, ein weißes, kragenloses Hemd, das bis zum Bauchnabel offen stand, und Trekking-Sandalen. Zwischen der üppigen Brustbehaarung war eine ganze Anzahl von Anhängern an Lederschnüren zu sehen.
«Professor Sharafi», rief er Zahed entgegen.
Zahed hob die Hand und nickte ihm zu.
«Suleyman Toprak, aber Sie können mich Sully nennen», stellte sich der Bergführer mit breitem Grinsen vor. Er sprach beinahe mit einem amerikanischen Akzent, der jedoch wohl eher dem Fernsehen zu verdanken war als einem Aufenthalt in den Staaten. Sie schüttelten einander die Hände.
«Ali Sharafi», sagte Zahed und musterte den Einheimischen mit geschultem Blick. Er konnte nichts Verdächtiges erkennen. «Ich bin wirklich froh, dass Sie so kurzfristig für uns da sein können.» Er hatte den Mann unter mehreren einheimischen Führern ausgewählt, die auf Websites ihre Dienste anboten, und ihn gebucht, bevor sie aus Istanbul aufbrachen.
«Die Freude ist ganz meinerseits», erwiderte Sully. «Das schaut nach einer netten Expedition aus.»
Zahed deutete auf Simmons. «Das ist mein Kollege, Ted Chaykin.» Zahed hatte sich für Namen entschieden, die sein Gefangener nicht so leicht vergessen würde, aber es bereitete ihm auch ein perverses Vergnügen zu sehen, wie Simmons auf die Namen reagierte.
«Freut mich sehr, Sie kennenzulernen», sagte der Führer. «Ich hoffe, Sie hatten eine gute Reise.»
«Völlig reibungslos, nur dass Ted Magenprobleme bekommen hat. Wir mussten unterwegs ein paar Minuten Rast machen.» Zahed grinste mit dem höhnischen Anschein von Mitgefühl. «Sonst ist er viel lebhafter.»
«Das kommt schon mal vor.» Sully nickte. «Ein ordentlicher Schuss Raki, und die Sache ist vergessen. Glücklicherweise habe ich eine Flasche im Wagen. Natürlich erst nach unserer Rückkehr, versteht sich.» Er zwinkerte verschwörerisch, dann wandte er sich an Zahed. «Dieses Kloster, das Sie suchen. – Sie sagten, Sie hätten noch nähere Informationen, wo es sein könnte?»
Zahed zog einen kleinen Notizblock hervor, auf dem er notiert hatte, was Pater Alexios, der Archimandrit der Bibliothek, für ihn nachgeschlagen und übersetzt hatte, ehe er dem Priester gleich darauf eine Kugel in den Kopf jagte. «Wir suchen noch nach weiteren Hinweisen, aber vorerst ist das Brauchbarste, was wir haben, das Tagebuch eines Bischofs aus Antiochia. Er hat das Kloster im 13. Jahrhundert besucht und seine Erlebnisse aufgeschrieben.»
«Wunderbar. Einen Moment.» Sully beugte sich in den Wagen und holte eine Bergsteigerkarte hervor, die er auf der Motorhaube des Toyota ausbreitete. «Wir
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