Dohlenflug
hat doch alles keinen
Sinn mehr. Durch solche Aktionen setzen Sie sich nur noch stärker ins
Unrecht. Soll wirklich noch weiteres Blut fließen?«
Keine Reaktion von drinnen.
Haberstroh rappelte sich langsam hoch und achtete darauf, sich ja nicht
hastig zu bewegen.
»Wer sind Sie, und was
wollen Sie?«, ertönte schließlich doch von drinnen eine
Frauenstimme.
»Bezirksinspektor
Haberstroh vom Landesgendarmeriekommando Salzburg, Frau Schleißheimer.
Wir suchen in erster Linie nicht Sie, sondern Paul Marageter.«
»Ach ja? Mit dem Pauli
wollen Sie sprechen? Da hätten Sie früher kommen müssen.«
Haberstroh durchlief es heiß
und kalt. »Dürfen wir trotzdem reinkommen?«
39
KOTEK HATTE DEN ALMBODEN von
Sportgastein erreicht. Die Tour wurde durch den dichten Schneefall
erschwert und hatte ihr fast alles abverlangt. Sie war zwar
durchtrainiert, aber in dieser Disziplin nicht so geübt wie etwa ein
Lorenz Redl, der bei Tourengehern wegen seiner Zähigkeit und Ausdauer
als Begleiter gefürchtet war. Von ihm hieß es, er mache jeden
hin.
Von der »Evianquelle«
bis kurz hinter die Asten-Almen war es vergleichsweise noch ein
Spaziergang gewesen, aber ab Kesselfall und Russenbrücke nahm die
Steigung spürbar zu. Vorteilhaft wirkte sich hier nur die dicke
Schneedecke aus, die aus dem sonst so steinigen und schrundigen Steig eine
glatte weiße Fläche machte. Der Schnee war zum Glück fest
und kompakt, was die Lawinengefahr möglicherweise noch für ein
paar Stunden hinausschob.
Das steilste Stück
begann nach dem Schleierfall. Dort wechselte Kotek über die
romantische Holzbrücke zurück auf die rechte Seite der Ache, die
hier noch Naßfelder Bach hieß. Trotz Grätschschritt und
Fellen auf ihren Skiern war sie immer wieder in Gefahr geraten zurückzurutschen.
Die Anstrengung und die Angst, jeden Moment eine Lawine auszulösen,
ließ ihr den Schweiß in Bächen am Körper
hinabrinnen. Die Steigung schien kein Ende nehmen zu wollen, sodass sie in
immer kürzeren Abständen rasten musste.
Mit zitternden Beinen
erreichte sie schließlich die Scheitelhöhe des Naßfelder
Kraftwerks. Während sie sich mit einer Hand am Absperrungsgitter zur
Staumauer festhielt, griff sie mit der anderen zum Handy: der zweite Anruf
von Max Haberstroh!
Die neuen Nachrichten von der
Gadaunerer Hochalm ließen ihre Kräfte zurückkehren, und
zwanzig Minuten später schnallte sie die Tourenski vor dem Landhaus
ab, wobei sie dessen Front keine Sekunde aus den Augen ließ.
Mit großer
Erleichterung sah sie Tina Hohenauer an einem Stubenfenster stehen und ihr
von drinnen zuwinken. Tina schien genauso erleichtert zu sein wie sie. Nun
musste sie die Verantwortung nicht mehr allein tragen.
Kotek klaubte ihr Handy aus
dem Anorak, wählte Weiders Nummer und gab Entwarnung: »Also,
damit Oskar zufrieden ist: Batrachomyomachia. Hier im Landhaus ist noch
alles an seinem Platz. Melde mich in zwei Stunden wieder.«
Kotek stellte die Ski neben
der Haustür ab, während sie hörte, wie sich der Bartschlüssel
im vorsintflutlichen Schloss drehte. Sie war kein heuriger Hase, und
professionelle Vorsicht bedeutete ihr wesentlich mehr als die Angst, sich
lächerlich zu machen, also zog sie ihre Neunzehner Glock, um bösen
Überraschungen vorzubeugen.
Die Tür öffnete
sich, und der Kussmund von Tina Hohenauer formte beim Anblick der Pistole
ein rundes »Oh!«.
Kotek lachte. »Kein
Grund zur Besorgnis. Ich wollte nur auf Nummer sicher gehen. Keine
besonderen Vorkommnisse bisher?«
Sie steckte die Glock ins
Holster zurück und trat ins Vorhaus, dann explodierte die Welt um sie
herum.
40
ALLMÄHLICH kam Melanie
Kotek wieder zu sich, aber ihre Umgebung konnte sie vorerst nur wie durch
einen Nebel wahrnehmen. Rechts oben an ihrem Kopf pochte der Schmerz
gewaltig. Sie spürte, dass die Haut dort aufgeplatzt war und Haare
an- und zusammenklebten. Aus einem Reflex heraus wollte sie mit der
rechten Hand dorthin fassen, konnte aber nicht. Auch nicht mit der linken.
Trotz des Dämmerzustands,
in dem sie sich befand, begriff sie, dass sie in der Stube von Ostermeyers
Landhaus mit dem Rücken an etwas Weiches gelehnt auf dem Fußboden
saß und ihre Handgelenke rücklings fixiert waren mit …
mit ihren eigenen Handschellen?
Möglich war es. Sie
hatte vorsichtshalber zwei Paar mitgenommen, weil mit Situationen zu
rechnen
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