Dohlenflug
kurzen
Bockartsee-Tunnel hinunter ins Naßfeld. Der war seinerzeit die
einzig sinnvolle und logistisch notwendige Transportverbindung vom Naßfeld
hinauf zum Bockartsee-Wehr.«
Er hatte tatsächlich
»logistisch« gesagt, und Max Haberstroh war tief beeindruckt.
Ȇblicherweise
benutzen nur Befugte den Tunnel, aber zurzeit finden Wartungsarbeiten an
der Staumauer statt, weshalb er manchmal oft tagelang offen steht. Während
also der Abstieg von der Bockartsee-Hütte über den verschneiten
Wandersteig eine Option für Selbstmörder wäre, stellt die
Route durch den Tunnel eine bequeme und relativ sichere Abkürzung
dar.«
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KOTEK WAR EBEN an der
Ortschaft Böckstein vorbeigefahren und hatte noch einmal Redl und
Feuersang kontaktiert. Abgesehen von den Anrainern des »Hotels
Evianquelle« hatten die beiden niemanden in Richtung Naßfeld
fahren oder touren gesehen, und von ihrem Beobachtungsposten aus hätten
sie jeden Pkw und jeden Passanten spätestens an der hell erleuchteten
Brücke bemerkt.
Feuersang hatte am Handy
ziemlich übernächtigt geklungen, was ja auch kein Wunder war.
Kotek hatte nicht zu fragen gewagt, ob einer von ihnen auf der Wache
eingeschlafen war.
Die alte Naßfelder Straße
war bis zum Parkplatz hinter dem »Hotel Evianquelle« geräumt.
Von dort war an ein Weiterkommen auch mit einem Allrad-Pkw nicht mehr zu
denken. Kotek ließ den Wagen stehen und bereitete sich auf die Tour
nach Sportgastein vor.
Noch immer schneite es
– zwar nicht mehr ganz so stark wie am Vortag, aber dennoch dicht
genug, um die Sicht auf zwanzig bis dreißig Meter zu begrenzen. Auf
der schmalen Trasse zwischen buschbestandenem Hang und Gasteiner Ache
stach Kotek nichts Verdächtiges ins Auge. Nur jungfräulicher
Schnee – keine zugeschneiten Reifenspuren in Richtung Asten-Almen
und auch kein noch so kleiner Hinweis auf einen nächtlichen
Tourengeher.
Da erreichte sie der Anruf
von Max Haberstroh und machte ihr augenblicklich Beine. Schnell verständigte
sie noch Redl, Weider und Jacobi und versprach, sich sofort zu melden,
wenn sie das Landhaus erreicht hatte.
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AUF DER GADAUNERER HOCHALM
standen etliche Almhütten. Die erste nach der Waldgrenze und der
Hochalm-Straße am nächsten gelegene gehörte dem Stubner
Bauern. Nur wenige Meter dahinter stand eine zweite, auf deren Höhe
die Ski-Doos hielten.
Haberstroh und die beiden
Gendarmen hätten blind und vom Geruchssinn verlassen sein müssen,
wäre ihnen trotz des Schneefalls nicht der dicke Qualm aufgefallen,
der aus dem gemauerten Kamin quoll. Anders als bei den umliegenden
eingeschossigen Almhütten handelte es sich bei dieser um einen
atypischen schmalbrüstigen Holzbau mit steilgiebligem Dach und
zweitem Stockwerk.
»Die Wolkerl-Hütte«,
erklärte Hofstätter. »Gehört dem Alpenverein. Wie man
sieht, ist sie belegt.«
Haberstroh nickte. »Drinnen
müssten sie die Motoren längst gehört haben. Komisch, dass
niemand vor die Hütte tritt, was in dieser Einöde eigentlich zu
erwarten wäre. Wahrscheinlich hatten wir mit unserer Vermutung
wirklich recht. Kollege Hofstätter, du fährst noch ein Stück
weiter hinauf und näherst dich dann der Hütte von oben. Und Herr
… äh …«
»Gruber, Inspektor
Philipp Gruber«, half der Beamte Haberstroh.
»Danke, also der
Kollege Gruber bleibt hier bei seinem Gerät – zur Sicherheit,
falls etwas Unvorhergesehenes passiert und ein Kontakt mit dem Tal
notwendig werden sollte.«
»Die Handys
funktionieren hier oben übrigens nur an bestimmten Stellen und heute
wahrscheinlich noch seltener als sonst«, informierte Hofstätter.
»Okay, sobald du auf
Position bist, versuchst du mich anzurufen. Und wenn du nicht durchkommst
–«
»Dann pfeife ich auf
den Fingern. Ich denke, das werdet ihr auch bei Schneefall noch aus
zweihundert Meter Entfernung hören.«
Die Handyverbindung war zwar
miserabel, aber der Ruf ging durch. Haberstroh stapfte auf die Wolkerl-Hütte
zu, immer darauf gefasst, dass sich eine Tür oder ein Fenster öffnete.
Und tatsächlich –
als er nur noch zehn Meter von der Hütte entfernt war, flog mit einem
Mal ein Fenster auf. Ein Schuss knallte, Haberstroh warf sich reflexartig
in den Schnee und rollte sofort zur Seite.
»Frau Schleißheimer,
Herr Marageter!«, rief er tief auf den Boden vor der Hütte
hingeduckt und zog seine Dienstwaffe. »Das
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