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Dohlenflug

Dohlenflug

Titel: Dohlenflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Gracher
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wollen.«
    »Ist Julie auch so ein
     Mädchen, das über zu wenig Freiheiten jammert?«
    »Nein. Julie tut
     ohnehin nur das, was sie will. Und Lotte weiß sich nicht anders zu
     helfen, als ihr das Taschengeld zu kürzen oder sie zu Hause
     einzusperren, wenn sie es wieder einmal zu arg treibt.«
    »Was zu arg treibt?«,
     warf Kotek ein.
    »Nun, dass sie …
     mit erwachsenen Männern mitgeht. Die geben ihr Geld, und zwar mehr,
     wesentlich mehr, als sie jemals an Taschengeld von Lotte bekommen würde.«
    »Aber Frau Heinrich
     verdient doch gar nicht mal schlecht, wie ich gehört habe. Ist sie
     denn so knauserig?«
    »Nein, sie ist nicht
     knauserig. Überhaupt nicht. Ich hab’s doch grad eben schon
     gesagt: Lotte hat nur Angst um Julie, deshalb hält sie sie knapp.
     Allem Anschein nach hat sie nicht gewusst, was ihre Tochter in ihrer
     Freizeit macht. Andererseits besitzt sie normalerweise so was wie einen
     sechsten Sinn, behauptet jedenfalls Julie. Sie hat mal gesagt, wenn sich
     ihre Mutter mit ihren indianischen Kräutern einräuchert, dann
     sieht sie manchmal eine Katastrophe heraufziehen, die von ihr, Julie,
     verursacht wird.«
    »Interessant! Aber
     bevor wir weiterreden, Chrissie: Laut ärztlichem Attest darf ich dich
     gar nicht vernehmen. Ich muss dich daher fragen –«
    »Weiß schon. Was
     ich Ihnen mitteilen will, tue ich freiwillig, niemand zwingt mich dazu.
     Ich will einen Beitrag zur Aufklärung des Mordes an meinem Vater
     leisten, auch … auch wenn …« Sie verstummte, atmete
     tief durch und fuhr dann doch fort: »Ich habe vorhin am Telefon so
     krass auf Julie geschimpft, weil ich … nun, weil ich ihr die Schuld
     am Tod von Paps gegeben habe. Der Verlust tut furchtbar weh …«
     Ihr Gesicht verzog sich weinerlich, aber sie fasste sich wieder. »Man
     ist so zornig …«    
    »Und verzweifelt?«,
     half ihr Kotek weiter.
    »Ja, und deshalb
     wahrscheinlich auch ungerecht. Denn eines muss ich mir selbst bei allem
     Schmerz eingestehen: Paps war vermutlich …« Wieder wollten
     die Worte nicht über ihre Lippen, aber sie gab sich einen Ruck.
     »Paps war vermutlich auch einer von den Männern, die mit Julie
     rumgemacht haben. Das ist … das ist eine ziemlich ekelhafte
     Erkenntnis, aber noch ekelhafter ist die Gewissheit, es ganz tief drinnen
     schon länger gewusst zu haben. Ich habe es eben nicht wissen wollen!«   
    Das Mädchen redete jetzt
     wie ein Wasserfall, holte kaum Luft zwischen den einzelnen Worten und Sätzen.
     »Und noch etwas ist mir klar geworden, während Sie, Frau Kotek,
     auf dem Weg hierher waren: Julie hat meinen Vater nicht umgebracht,
     andernfalls hätte sie mich nicht angerufen. Ganz sicher nicht. Warum
     sollte sie so etwas Grausiges auch tun? Selbst wenn sie sich mit ihm
     gestritten hätte, bringt man doch die Gans nicht um, die einem
     goldene Eier legt.«
    Meint die Tochter eines
     Bankers, ergänzte Kotek im Stillen. Laut sagte sie: »Da bin ich
     durchaus deiner Meinung, Chrissie. Obwohl man das mit letzter Sicherheit
     natürlich nie sagen kann. Ich werde dich jetzt einiges fragen, das
     auf jeden Fall unter uns bleiben muss. Versprichst du mir das? Natürlich
     kannst du die Befragung auch ablehnen.«
    »Nein, nein, fragen Sie
     nur.«
    »Zunächst einmal:
     Wo warst du am Samstagnachmittag wirklich? Mit Julie warst du ja nicht
     zusammen.«
    »Nein, das hab ich nur
     gesagt, weil Julie mich darum gebeten hat. Ich hab sie an dem Tag gar
     nicht gesehen. Das ist meistens so, wenn ich ihr ein Alibi geben muss. Ich
     war bei Moni Mayr, einer anderen Freundin. Moni hat ihren Eltern und Brüdern
     beim Aufrüsten ihres Erntedankwagens auf dem Mayrhof in Wieden
     geholfen, und ich habe ihnen dabei zugesehen.«
    »Und du bist wirklich
     überzeugt, dass Frau Heinrich vor diesem Samstag nichts von Julies
     … äh … Abenteuern wusste? Du hast vorhin die
     Formulierung gebraucht, dass sie allem Anschein nach nichts wusste. Aber
     geahnt haben konnte sie doch zumindest etwas.«
    »Nein, weder wusste
     noch ahnte sie was, sonst hätte sie ja längst darauf reagiert.
     Bis gestern war sie genauso ahnungslos wie meine Mutter, was ihre Tochter
     anlangt. Aber nicht, weil sie sich nicht um Julie gekümmert hätte.
     Julie ließ sie einfach nicht an sich ran.«
    »Danke, Chrissie. Du
     hast mir und meinen Mitarbeitern sehr geholfen.«
    Kotek konnte es an Chrissies
     Augen sehen, wie sehr sie das Lob aufmunterte.
    »Wann … wann
     wird der Leichnam

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