Dohlenflug
meines Vaters eigentlich zur Bestattung freigegeben?«
»Spätestens in
drei Tagen. Länger wird die Gerichtsmedizin für die nötigen
Untersuchungen und den Abschlussbericht sicher nicht brauchen.«
»Ja, so eine
Beisetzung, die ist … wichtig. Man muss Abschied nehmen können.«
Ihre Augen wurden wieder feucht.
Kotek ließ ihr Zeit.
Und tatsächlich: Eine weitere Frage war Chrissie im Moment wichtiger
als ihr Kummer. »Schauen Sie noch einmal bei uns vorbei, wenn
… wenn Sie den Fall gelöst haben? Ich weiß, Sie werden
ihn lösen.«
»Egal, wie’s
ausgeht, Chrissie, ich werde sicher noch einmal bei dir vorbeischauen.
Versprochen! Oh, entschuldige mich bitte.«
Koteks Handy hatte begonnen,
den dritten Satz von Schumanns Vierter zu intonieren. Während sie den
Anruf entgegennahm, sah sie einen Anflug von Freude im Gesicht des Mädchens
aufblitzen und lächelte es an.
Stubenvoll war dran. Sie
stellte den Ton leiser.
»Volltreffer, Melanie.
Du wirst es nicht glauben. Und das, obwohl wir erst seit einer halben
Stunde in Luggau bei Frau Heinrich sind. Zunächst haben wir uns das
Zimmer ihrer Kleinen vorgenommen und dann, nach den üblichen
Verstecken, natürlich auch jene überprüft, die gern in
Holzhäusern Verwendung finden. Unter einem losen Dielenbrett und dem
Dämmmaterial tat sich im wahrsten Sinne des Wortes eine Fundgrube
auf. Der Hohlraum enthielt ein Handy, einige hundert Euro Bargeld und eine
Junior-Bankomatkarte, die auf Julies Namen ausgestellt ist. Und noch was.
Julie führt sogar ein Tagebuch, was ihrem Sugardaddy ganz sicher
nicht gepasst hätte.«
»In ihrem Alter nicht
ungewöhnlich, aber für uns ein Glücksfall«, flocht
Kotek, von Stubenvolls Euphorie angesteckt, ein.
»Stimmt. Sie hat in dem
Büchel penibel festgehalten, wann sie es wo mit wem getrieben hat. Zu
ihrer Ehrenrettung gleich vorweg: Sie hatte mit dreizehn einen fünfzehnjährigen
Freund, mit dem sie ihr erstes Mal erleben wollte. Eine nicht weiter erwähnenswerte
Angelegenheit auf einer Damentoilette am Badesee, notiert sie dazu. Einige
Wochen später hat sie es dann mit einem Grundwehrdiener auf dem
Feuerwehrwiesenfest probiert, was ebenfalls ziemlich ernüchternd
endete. Der Jüngling war zudem notorisch pleite und die Beziehung
nach vierzehn Tagen zu Ende. Der nächste Lover war bereits Fredl
Schleißheimer. Er hat sie über seine Tochter Chrissie
kennengelernt und sie von da an immer wieder zufällig getroffen. Vor
einem Jahr, ebenfalls im September, wollte Julie wieder einmal ihre
Freundin Chrissie besuchen, die aber, ebenfalls zufällig, mit ihrer
Mutter nach Salzburg zum Shoppen gefahren war. Nur Fredl war da, schreibt
sie. Mit ihm konnte man unheimlich gut reden, ganz anders als mit
chronisch klammen Dumpfbacken hinterm Bierzelt. So viel zum Beginn ihrer
Lolita-Karriere.«
»Und von da an haben
sie sich regelmäßig verabredet?«, versuchte Kotek den
Bericht des Kollegen voranzutreiben.
»Du sagst es.
Bevorzugte geheime Treffpunkte waren die Rettenwänd- und die Häuslschmied-Hütte,
die übrigens seit einigen Jahren Regenmandl gehört. An welchen
Tagen Letztere verfügbar war, wusste Fredl Schleißheimer natürlich
ganz genau. Wenn sein Chef mit Salma oder einer anderen Frau auf seinem
Weingut im Südburgenland oder seinem Anwesen bei Rovinj oder sonst wo
war, hatte er auf der Laderdinger Alm sturmfreie Bude. Nun, alles andere
kannst du ja später selbst lesen.«
»Was habt ihr sonst
noch gefunden? Ehrlich gesagt halte ich die Hausherrin für
interessanter als ihre Tochter.«
»Da muss ich dich
leider enttäuschen. Über sie haben wir rein gar nichts
ausgegraben, wenn man mal vom üblichen Papierkram absieht.
Buchhaltung und Korrespondenz auf ihrem PC sowie einige CDs müssen
wir uns allerdings erst noch ansehen.«
»Schade. Sonst noch
was?«
»Ja. Du weißt,
dass ich mich normalerweise nie in eure Arbeit einmische, aber diese
Anmerkung muss ich einfach loswerden.«
»Nämlich welche?«,
fragte Kotek.
»Julie hat nie und
nimmer etwas mit der Ermordung Schleißheimers zu tun. Im Gegenteil:
Als erwachsener Mann war er wohl der Tonangebende zu Beginn der Beziehung,
aber je länger diese währte, umso stärker bestimmte sie, wo’s
langging. Das geht eindeutig aus ihren Notizen hervor. Warum also hätte
sie ihn umbringen sollen?«
»Habt ihr schon die
Mutter mit dem Tagebuch
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