Dohlenflug
die Küche hinüber, um ein kaltes
Abendbrot herzurichten. Dabei ließ sie im Geist noch einmal alle
vorhandenen Öffnungen Revue passieren, durch die ein Mensch ins
Innere des Landhauses gelangen könnte. Kotek hatte sie wiederholt auf
alle denkbaren Eventualitäten hingewiesen.
»O nein, Mandi-Tant, du
bist nicht plemplem«, widersprach sie, als sie mit Holztellern und
Besteck zurückkam. »Im Gegenteil! Du weißt sehr genau,
dass wir das Richtige getan haben. Der Mörder kann verdammt gut mit
dem Messer umgehen, das hat er schon zwei Mal auf grausige Weise
demonstriert. Liegt da der Verdacht nicht nahe, dass er auch andere Waffen
handhaben kann? Außerdem ist er schon in dein Haus eingebrochen,
eine weitere Attacke kann jederzeit folgen – auch aus der Ferne. Dem
mussten wir einfach Rechnung tragen. In deiner Villa warst du nicht mehr
sicher.«
Häuslschmied warf den
Kopf in den Nacken und lachte ärgerlich auf. »Tja, die Kotek,
diese Schnepfe, hat dich anscheinend mächtig beeindruckt, oder wie
sonst soll ich mir erklären, dass du ihr nach dem Mund redest?
Glaubst du etwa im Ernst, der Killer – möglicherweise auch die
Killerin – würde mich mit einer Fernwaffe wegputzen, ohne
vorher von mir das erfahren zu haben, was auch der Anlass für die
zwei bisherigen Morde war?«
Tina Hohenauer blickte die
Großtante verblüfft an und öffnete schon den Mund zur
Entgegnung, überlegte es sich dann aber doch anders und ging zurück
in die Küche, aus der das durchdringende Pfeifen eines Teekessels zu
hören war.
Häuslschmied legte den
Verzicht auf eine Erwiderung durchaus nicht falsch aus. »Du hast
deine Meinung, was meinen Geisteszustand betrifft, also doch geändert,
was?«, rief sie der jungen Frau hinterher.
»Ehrlich gesagt, ich
weiß wirklich nicht, was ich von dieser Äußerung halten
soll!«, rief Hohenauer zurück, während sie in der Küche
hantierte. »Die Kotek hat mir nur gesagt, dass du Zeugenschutz
erhalten sollst, und mich gefragt, ob ich ihr dabei behilflich sein könne.
Hintergründe bräuchte ich nicht zu wissen, so würde ich später
auch nicht der Indiskretion verdächtigt werden können.«
Sie kam mit dem Tee und einer
kalten Platte zurück. »No na! Natürlich hab ich Ja gesagt«,
setzte sie fort. »Erstens ist so eine Aufgabe eine Auszeichnung für
mich, die später auch in meiner Personalakte aufscheint, und zweitens
bist du ja nicht nur irgendeine entfernte Verwandte für mich, wir
stehen uns doch nahe – oder etwa nicht?«
Der Blick aus den Falkenaugen
wurde einen Moment lang weich, und auch das sonst ständig wache
Misstrauen darin war vorübergehend verschwunden. »Meinst du das
ernst, Tini?«
»Was?«
»Dass wir uns
nahestehen?« Häuslschmied vermied es, die Jüngere bei der
Frage anzusehen und griff stattdessen nach dem Besteck.
»Aber natürlich,
Mandi-Tant, das weißt du doch. Wir verstehen uns und freuen uns,
wenn wir uns sehen, da spielt es auch keine Rolle, dass wir altersmäßig
Jahrzehnte auseinander sind.«
Tina Hohenauer ging noch
einmal in die Küche und holte den Toast. Sie hatte ihn nur schwach
geröstet, um der Großtante eine möglichst seniorengerechte
Mahlzeit zu servieren.
Während des Essens
verzichtete Häuslschmied auf Konversation, aber ihrer bewegten Miene
konnte die Gendarmerieschülerin unschwer entnehmen, dass etwas in ihr
rumorte.
Als sie fertig gegessen
hatten und bis auf die Teetassen alles abgeräumt war, brach die
Greisin ihr Schweigen.
»Sei nicht zu sparsam
mit dem Vogelbeer im Tee, Tini. Ich möchte dir einiges erzählen,
aber dazu muss ich vorher noch meine Zunge ein bisschen lockern, du
verstehst?«
Hohenauer erhob sich sofort,
holte eine Flasche Vogelbeerschnaps aus der Küche und schenkte ihrer
Großtante nicht zu knapp ein.
»Was ich dir jetzt
berichte, Kind, muss unbedingt unter uns bleiben«, begann Häuslschmied,
aber Hohenauer schüttelte gleich den Kopf.
»Das kann ich nur
versprechen, wenn es nichts mit den beiden Morden zu tun hat, Tante.«
»Wenigstens bist du
ehrlich. Ich glaube, meine Geschichte hat sehr wohl mit diesen Gräueltaten
zu tun, und genau deshalb möchte ich sie dir erzählen. Aber nur
dir. Was du damit machst, ist deine Sache. Also, hör zu. Vor fast
sechzig Jahren, nur ein paar Tage nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs,
hat sich hier ganz in der Nähe im Anlauftal
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