Doktor auf Draht
Kalorienverbrauch einschränken. Hast du etwas gegen meine Figur einzuwenden, Gaston?«
»Ganz, ganz entzückend«, versicherte ich ihr.
»Nun, Miles nörgelte tagelang an ihr herum. Er erklärte, Fettleibigkeit sei laut British Medical Journal die verbreitetste Erkrankung der Engländer, und Überfüttern der Kinder sei ebenso streng zu bestrafen, wie sie dem Hungertod preiszugeben. Sooft Klein-Bartholomew um etwas Zuckerzeug bat, sagte ihm Miles, es würde seine Zähne ruinieren und seine Arterien verstopfen. Und Eis wollte Miles überhaupt auf die Giftliste setzen. Das Rauchen hat er mir natürlich schon vor Monaten verboten«, fuhr Connie fort, eine Zigarette anzündend. »Und jetzt wollte er mich nicht einmal mehr einen kleinen Drink nehmen lassen«, endete sie, mir ihr leeres Glas entgegenhaltend.
Ich begann langsam zu verstehen — da bahnte sich etwas an, das einer Agatha Christie würdig war.
»Seit Wochen hat er mich keine einzige anständige Mahlzeit kochen lassen, und du weißt doch, wie stolz ich auf meine Kochkunst bin! Er versuchte sogar, im Onslow-Park mit mir Morgengymnastik zu betreiben, aber da warf sich gottseilob die Polizei dazwischen. Und dann« — Connie zögerte — »ging Miles eines Abends zu weit. Er bezichtigte mich der Untreue.«
»Na hör einmal«, rief ich mit wachsendem Interesse.
»Mit dem Apfelkuchen«, ergänzte Connie.
»Mit dem — was?«
»Oh, ich war wohl wirklich eine dumme Gans. Als ich ihn für eingeschlafen hielt, schlich ich zum Eiskasten hinunter und aß den Apfelkuchen auf. Miles war außer sich vor Wut. Und weißt du«, rief sie triumphierend, »was dann geschah? Schon am nächsten Tag erwischte ich das Schwein bei einem Seitensprung mit dem Camembert.«
Sie bediente sich mit weiteren Bonbons.
»Wie die Männer schon so sind, kam der elende Wurm zu Kreuz gekrochen und schwor, er würde nie mehr im Leben einen Käse ansehen. Und ich Arme«, stammelte Connie in ihren zweiten Gin hinein, »vergab ihm in meiner Schwäche. Vor einigen Tagen jedoch beschuldigte er mich, mich mit dem Zucker eingelassen zu haben. Ich leugnete es. Er bestand auf seiner Meinung, er habe die Stückchen gezählt. Und dann befragte mich das Ungeheuer über mein Abenteuer mit der Kokosnuß, zu hundert Kalorien pro Unze?
Kokosnuß ist ein sehr nahrhaftes Zeug. Zufälligerweise habe ich augenblicklich Kokosnuß sehr gern. Da riß mir die Geduld. Ich bewarf ihn mit Kokosnüssen. Selbst in diesem Moment versteckte sich der elende Wurm hinter dem Piano, anstatt ihnen wie ein Mann die Stirn zu bieten. Oh, Gaston!« rief Connie, plötzlich in Tränen ausbrechend, »ich bin ja so unglücklich! Und so hungrig.«
»Aber aber«, sagte ich, »aber aber.«
Welcher Mann kann unerschüttert ein hübsches Mädchen über Schokoladebonbons schluchzen sehen? Als ewig kein Versiegen ihrer Tränen abzusehen war, rückte ich auf dem Sofa näher an sie heran und legte meinen Arm um ihre Schultern.
»Liebster Gaston«, wimmerte Connie, »du bist so süß zu mir.«
»Nicht doch. Darf ich dir mein Taschenbuch borgen?«
»Doch, Gaston, du bist süß.« Sie legte ihr Haupt schwesterlich an meinen Rockaufschlag. »Du weißt gar nicht, unter welchen Qualen ich mich fragte, ob... ob ich wirklich die richtige Wahl getroffen habe.«
»Ein bißchen zu spät dafür, Mädel«, murmelte ich, indem ich ihr rechtes Ohr brüderlich streichelte.
»Wirklich?« seufzte Connie in meine Hemdbrust hinein. »Wirklich?«
Ich schluckte. Miles mochte ja alles über den Apfelkuchen wissen, aber er wußte nicht, wie vertraut ich mit Connie gewesen war, bevor er sie in einem gemieteten Daimler von dannen führte, auf daß sie künftig sein Leben teile. Ich hatte sie zum erstenmal im St. Swithin gesehen, wohin sie nach einem Verkehrsunfall gebracht worden war; sie sah trotz ihrer Pottschen Fraktur hinreißend aus. Aber da ich nur ein Student ohne einen Penny und Miles bereits Spitalsarzt war, besaß er nicht nur den stärkeren Glanz, sondern auch die Mittel, sie zu den besseren Dinners einzuladen. Überdies war Miles mit der Haut und der Zielstrebigkeit eines angreifenden Rhinozerosses ausgestattet, und kaum war Connie aus dem Gips heraus, nahm sie seinen Antrag an.
Ich schlich eine Zeitlang recht gedrückt herum, wie der Ritter, den seine Belle Dame sans Merci so grausam hatte abblitzen lassen. Nun ja, kein Vöglein erfreute mich da mit seinem süßen Sang. Aber eigentlich ist es gar nicht so schwer, die Diagnose eines gebrochenen
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