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Doktor Pascal - 20

Doktor Pascal - 20

Titel: Doktor Pascal - 20 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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nicht.
    »Na schön, meine Gute, es eilt ja nicht, Ihr geht dann eben an einem anderen Tag noch mal hin.«
    »Aber nein! Aber nein! Er ist fort, verstehen Sie, auf und davon.«
    Und als wäre eine Schleuse geöffnet worden, sprudelten die Worte aus ihr hervor; ihre heftige Erregung machte sich Luft.
    »Ich komme in die Straße und sehe von weitem Leute vor der Tür … Es läuft mir kalt den Rücken runter, ich fühle, daß ein Unglück geschehen ist. Die Tür ist verschlossen, nicht ein Fensterladen ist offen, ein wahres Totenhaus … Die Leute haben mir gleich gesagt, daß er sich aus dem Staube gemacht hat, daß er nicht einen Sou zurückgelassen hat, daß dies für viele Familien der Ruin ist …«
    Sie legte die Quittung auf den Steintisch.
    »Hier! Da haben Sie Ihr Papier zurück! Es ist aus, wir haben keinen Sou mehr, wir müssen jetzt verhungern!«
    Sie konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten; in der Verzweiflung ihres geizigen Herzens weinte sie herzzerbrechend, außer sich über diesen Verlust eines Vermögens und zitternd vor dem drohenden Elend.
    Clotilde saß betroffen da, ohne ein Wort zu sagen, die Augen auf Pascal gerichtet, der das alles zunächst erst einmal nicht glauben wollte. Er versuchte Martine zu beruhigen. Na, na, sie solle sich nicht gleich so aufregen! Wenn sie die Sache nur von den Leuten auf der Straße wüßte, wären das vielleicht nur Klatschereien, die alles übertreiben. Herr Grandguillot auf der Flucht, Herr Grandguillot ein Dieb, das erregte natürlich Aufsehen wie etwas Ungeheuerliches, Unmögliches. Ein so ehrbarer Mann! Ein Haus, das seit mehr als einem Jahrhundert von ganz Plassans geliebt und geachtet wurde! Das Geld war dort sicherer, so hieß es, als bei der Bank von Frankreich.
    »Überlegt einmal, Martine, eine solche Katastrophe würde doch nicht wie ein Blitz aus heiterem Himmel kommen, es wären ihr üble Gerüchte vorausgegangen … Zum Teufel! Eine so altbewährte Redlichkeit geht nicht über Nacht in die Brüche.«
    Da machte sie eine verzweifelte Gebärde.
    »Ach, Herr Doktor, das gerade macht mir ja Kummer, weil ich ein wenig mit dran schuld bin … Ich höre schon seit Wochen, daß da Geschichten in Umlauf sind … Sie natürlich, Sie hören nichts, Sie wissen ja nicht einmal, ob Sie leben …«
    Pascal und Clotilde mußten lächeln, denn es war durchaus wahr, daß sie sich außerhalb der Welt liebten, so fern, so hoch, daß nicht eines von den gewöhnlichen Geräuschen des Lebens zu ihnen drang.
    »Nur weil diese Geschichten sehr häßlich waren, habe ich Sie nicht damit belästigen wollen – ich glaubte, die Leute lügen.«
    Sie erzählte schließlich, daß die einen Herrn Grandguillot nur beschuldigten, an der Börse gespielt zu haben, während andere behaupteten, er halte in Marseille Frauenzimmer aus. Na ja, eben Orgien, abscheuliche Leidenschaften. Und sie begann wieder zu schluchzen.
    »Mein Gott! Mein Gott! Was soll nur aus uns werden? Jetzt müssen wir verhungern!«
    Erschüttert versuchte jetzt Pascal, schmerzlich bewegt, daß auch Clotildes Augen sich mit Tränen füllten, etwas Klarheit in seine Gedanken zu bringen, sich zu erinnern. Früher, zu der Zeit, da er in Plassans praktizierte, hatte er nach und nach bei Herrn Grandguillot die hundertzwanzigtausend Francs angelegt, deren Zinsen ihm nun schon seit sechzehn Jahren zum Leben genügten; und bei jeder Einzahlung hatte ihm der Notar eine Empfangsbestätigung über die eingezahlte Summe gegeben. Das würde ihn zweifellos in den Stand setzen, sich als persönlichen Gläubiger auszuweisen. Dann erwachte eine unklare Erinnerung in seinem Gedächtnis: zu einem Zeitpunkt, den er nicht mehr genau angeben konnte, hatte er dem Notar auf dessen Ersuchen, und nachdem dieser ihm einige Erklärungen gegeben hatte, eine Vollmacht ausgestellt zu dem Zweck, sein ganzes Geld oder einen Teil desselben in Hypotheken anzulegen, und er war sicher, daß auf dieser Vollmacht der Name des Bevollmächtigten nicht eingesetzt worden war. Aber er wußte nicht, ob man von diesem Schriftstück Gebrauch gemacht hatte, er hatte sich niemals darum gekümmert, wie seine Gelder angelegt sein mochten.
    Von neuem fing Martine, geizig, wie sie war, in ihrer Angst zu jammern an.
    »Ach, Herr Doktor, Sie sind durch eigene Schuld hart gestraft! Kümmert man sich denn so wenig um sein Geld? Ich, sehen Sie, ich erfahre alle drei Monate bis auf den Centime genau, wieviel Geld ich habe, und ich könnte Ihnen im Schlaf die Summen und die

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