Doktor Pascal - 20
will ich dich doch so, wie ich dich gewollt habe!«
Im Vertrauen auf eine unbegrenzte Zukunft sagte er dann zuversichtlich:
»Im übrigen werden wir nicht gleich heute abend verhungern, nicht wahr, Martine? Damit langen wir noch eine ganze Weile.«
Martine schüttelte den Kopf. Sie verpflichtete sich wohl, zwei, vielleicht auch drei Monate damit zu reichen, wenn man sehr vernünftig wäre, aber nicht länger. Früher habe das Schubfach Zufuhr bekommen, es sei immer ein wenig Geld eingegangen, während jetzt die Einkünfte gleich Null seien, seit der Herr Doktor seine Kranken vernachlässigte. Man dürfe also nicht auf Hilfe von außen rechnen. Und sie sagte zum Schluß:
»Geben Sie mir die beiden Hundertfrancsscheine. Ich will versuchen, einen ganzen Monat damit auszukommen. Dann werden wir weitersehen … Aber seien Sie bloß vernünftig, rühren Sie die vierhundert Francs in Gold nicht an, schließen Sie das Schubfach zu und machen Sie es nicht wieder auf.«
»Oh«, rief der Doktor, »da kannst du unbesorgt sein! Eher würde ich mir die Hand abhacken.«
So wurde alles geregelt. Martine behielt die freie Verfügung über diese letzten Geldmittel, und auf ihre Sparsamkeit war Verlaß; man konnte sicher sein, daß sie jeden Centime dreimal umdrehte. Clotilde, die niemals eine eigene Kasse gehabt hatte, würde den Geldmangel wohl nicht einmal bemerken. Nur Pascal würde darunter leiden, daß er nicht mehr seinen allzeit zugänglichen, unerschöpflichen Schatz besaß; aber er hatte sich ausdrücklich verpflichtet, alle Zahlungen dem Dienstmädchen zu überlassen.
»Uff! Das wäre geschafft«, sagte er, erleichtert und glücklich, als hätte er ein beachtliches Geschäft abgeschlossen, das ihr Leben für immer sicherte.
Eine Woche ging dahin; nichts schien sich auf der Souleiade geändert zu haben. In der Beglückung ihrer Liebe schienen weder Pascal noch Clotilde mehr an das drohende Elend zu denken. Und eines Morgens, als Clotilde Martine zum Markt begleitet hatte, empfing der Doktor, der allein im Haus geblieben war, einen Besuch, der ihn zunächst mit einer Art Schrecken erfüllte. Es war die Zwischenhändlerin, die ihm das Mieder aus alter Alençonner Spitze verkauft hatte, jenes Wundergebilde, sein erstes Geschenk. Er fühlte sich so schwach gegenüber einer möglichen Versuchung, daß er davor zitterte. Noch ehe die Händlerin ein Wort gesprochen hatte, wehrte er sich: Nein, nein, er könne und wolle nichts kaufen! Und mit vorgestreckten Händen hinderte er sie daran, etwas aus ihrer kleinen Ledertasche hervorzuholen. Doch die sehr dicke, freundliche Frau lächelte siegesgewiß. Mit eintöniger, einschmeichelnder Stimme begann sie zu sprechen und erzählte ihm eine Geschichte: Ja, eine Dame, deren Namen sie nicht nennen könne, eine der vornehmsten Damen aus Plassans, sei von einem Unglück betroffen worden und sehe sich gezwungen, ein Schmuckstück zu veräußern. Dann verbreitete sie sich über die großartige Gelegenheit: ein Schmuckstück, das mehr als zwölfhundert Francs gekostet habe, wolle man schweren Herzens für fünfhundert ablassen. Ohne Hast hatte sie die Tasche geöffnet, trotz der Bestürzung, der wachsenden Angst des Doktors; sie zog eine feine Halskette daraus hervor, die vorn ganz schlicht mit sieben Perlen verziert war; aber die Perlen waren wunderbar in ihrer Rundung, ihrem Glanz, ihrer Reinheit. Es war ein sehr feines, sehr reines Kleinod von erlesenem Glanz. Sogleich sah er dieses Halsband an Clotildes zartem Hals als den natürlichen Schmuck dieses Fleisches von Seide, dessen Blütengeschmack er noch auf seinen Lippen fühlte. Ein anderes Schmuckstück hätte zu aufdringlich gewirkt, diese Perlen würden nur von ihrer Jugend zeugen. Und schon hatte er es in seine bebenden Finger genommen und empfand tödliche Qual bei dem Gedanken, es wieder zurückgeben zu müssen. Trotzdem wehrte er sich noch immer, schwor, daß er keine fünfhundert Francs besitze, während die Händlerin mit ihrer gleichförmigen Stimme fortfuhr, ihm das wirklich gute Geschäft schmackhaft zu machen. Nach einer weiteren Viertelstunde, als sie ihn in der Hand zu haben glaubte, wollte sie ihm plötzlich das Halsband für dreihundert Francs überlassen; und er gab nach – seine Schenkwut, sein Verlangen, Freude zu bereiten, seine Angebetete zu schmücken, war stärker als alles. Als er die fünfzehn Goldstücke aus seinem Schubfach holte, um sie der Händlerin aufzuzählen, war er überzeugt, daß die
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