Doktor Pascal - 20
wußte, auf welche Weise sie es ihm anbieten sollte. Und er ermutigte sie.
»Wenn der Herr Doktor damit einverstanden ist, hätte ich gern ein Papier vom Herrn Doktor unterschrieben.«
»Wie, ein Papier?«
»Ja, ein Papier, auf dem der Herr Doktor mir jeden Monat bestätigt, daß er mir vierzig Francs schuldet.«
Sogleich stellte Pascal ihr das Papier aus, und sie war sehr glücklich darüber, sie schloß es sorgfältig ein wie richtiges gutes Geld. Das beruhigte sie offensichtlich. Doch dieses Papier wurde für den Doktor und seine Gefährtin ein neuer Gegenstand der Verwunderung und des Spotts. Welch außergewöhnliche Gewalt doch das Geld über manche Seelen ausübte! Da diente ihnen dieses alte Mädchen nun auf Knien, verehrte besonders Pascal so abgöttisch, daß sie ihr Leben für ihn hingegeben hätte, und nahm jetzt diese einfältige Garantie, diesen wertlosen Fetzen Papier, wenn der Doktor sie nicht bezahlen konnte!
Im übrigen war es für Pascal und Clotilde bis dahin kein großes Verdienst, ihre Heiterkeit im Unglück zu bewahren, denn sie spürten das Unglück gar nicht. Sie lebten außerhalb der Wirklichkeit, in ferneren, höheren Sphären, im glücklichen, reichen Gefilde ihrer Leidenschaft. Bei Tisch wußten sie nicht, was sie aßen, sie konnten sich der Vorstellung hingeben, daß man ihnen fürstliche Gerichte auf silbernen Schüsseln auftrug. Sie nahmen den wachsenden Mangel, der sie umgab, nicht wahr; sie bemerkten nicht, wie ausgehungert das Dienstmädchen war, das sich von den Krumen nährte, die sie übrigließen; und sie schritten durch das leere Haus wie durch einen mit Seide ausgeschlagenen, von Reichtum überquellenden Palast. Dies war gewiß die glücklichste Zeit ihrer Liebe. Das mit der alten rosa Indienne bespannte Zimmer war für sie eine Welt, sie konnten darin das unendliche, das grenzenlose Glück, einander in den Armen zu halten, niemals ausschöpfen. Und das große Arbeitszimmer bewahrte die guten Erinnerungen an die Vergangenheit so lebendig, daß sie die Tage dort verbrachten, gleichsam eingehüllt von der Freude, dort schon so lange gemeinsam gelebt zu haben. Dann war es der königliche Sommer, der draußen, in den kleinsten Winkeln der Souleiade, sein goldglänzendes blaues Zelt ausspannte. Am Morgen auf den duftenden Wegen des Pinienhains, mittags in dem vom Lied der Quelle erfrischten dunklen Schatten der Platanen, abends auf der kühler werdenden Terrasse oder auf der noch warmen Tenne, die in das milde blaue Licht der ersten Sterne getaucht war, genossen sie mit Entzücken das Dasein armer Leute, deren einziges Streben es war, in vollkommener Verachtung alles übrigen immer zusammen zu leben. Die Erde gehörte ihnen und alle Schätze und alle Freuden und alle Herrlichkeiten, da sie einander ganz angehörten.
Gegen Ende August indessen verschlimmerten sich die Dinge noch. Zuweilen gab es für sie ein unruhiges Erwachen aus diesem Leben ohne Bindungen und Pflichten, ohne Arbeit, das ihnen so süß schien und das doch schlecht war, das man unmöglich immer so leben konnte. Eines Abends erklärte ihnen Martine, sie habe nur noch fünfzig Francs, und davon könne man nur mit Mühe noch zwei Wochen existieren, selbst wenn man auf den Wein verzichtete. Auch von anderer Seite kamen bedenkliche Nachrichten; der Notar Grandguillot war ohne Frage zahlungsunfähig, selbst die persönlichen Gläubiger würden nicht einen Sou erhalten. Zunächst hatte man auf das Haus und zwei Pachtgüter rechnen können, die der flüchtige Notar hatte zurücklassen müssen; doch es stand jetzt fest, daß diese Besitztümer auf den Namen seiner Frau eingetragen waren. Und während er sich in der Schweiz, wie es hieß, an der Schönheit der Berge erfreute, lebte sie auf einem dieser Pachtgüter, das sie in aller Ruhe selber bewirtschaftete, fern von den unangenehmen Auswirkungen ihres finanziellen Zusammenbruchs. Das fassungslose Plassans erzählte, daß die Frau die Ausschweifungen ihres Gatten dulde, ja daß sie ihm sogar die zwei Mätressen erlaube, die er an die großen Seen mitgenommen hatte. Und Pascal in seiner gewohnten Sorglosigkeit versäumte auch, den Staatsanwalt aufzusuchen, um mit ihm über seinen Fall zu sprechen; durch alles, was man ihm erzählte, glaubte er hinreichend unterrichtet zu sein und fragte sich, wozu man diese häßliche Geschichte wieder aufrühren sollte, da dabei doch nichts Anständiges oder Nützliches mehr herauskommen konnte.
Die Zukunft lastete drohend auf der
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