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Doktor Pascal - 20

Doktor Pascal - 20

Titel: Doktor Pascal - 20 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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hatte die rechte Brust leer getrunken, und da er unruhig wurde, drehte Clotilde ihn herum und gab ihm die linke Brust. Dann lächelte sie von neuem bei der Liebkosung durch die gefräßigen kleinen Kiefer. Trotz allem war sie voll Hoffnung. Ist eine Mutter, die ihr Kind stillt, nicht das Sinnbild der fortbestehenden, geretteten Welt? Sie hatte sich über den Kleinen geneigt, sie war seinen klaren Augen begegnet, die sich entzückt auftaten, begierig nach dem Licht. Was mochte das kleine Wesen sagen, daß sie ihr Herz schlagen fühlte unter der Brust, die es leer trank? Welche Botschaft verkündete es mit dem saugenden Geräusch seines Mundes? Für welche Sache würde es sein Blut geben, wenn es dereinst ein Mann war, stark von all dieser Milch, die es getrunken? Vielleicht sagte der Kleine gar nichts, vielleicht log er bereits, und sie war dennoch so glücklich, so voll unbedingten Vertrauens in das Kind!
    Von neuem erklangen die fernen Blechinstrumente mit Fanfarengeschmetter. Das mußte wohl die Apotheose sein, die Minute, da Großmutter Félicité mit ihrer silbernen Maurerkelle den Grundstein zu dem Bauwerk legte, das zum Ruhme der Rougons errichtet wurde. Der hohe blaue Himmel, den die sonntägliche Fröhlichkeit aufheiterte, strahlte in festlichem Glanz. Und in der warmen Stille, in dem einsamen Frieden des großen Arbeitszimmers lächelte Clotilde dem Kinde zu, das noch immer trank und sein Ärmchen in die Luft streckte, aufrecht wie ein Banner, das zum Leben aufruft.
     

Doktor Pascal oder Vom Sinn des Lebens
     
    Am 21. Juni 1893 fand in einem eleganten Restaurant im Bois de Boulogne ein Festessen statt, zu dem die langjährigen Verleger Zolas, Charpentier und Fasquelle, eingeladen hatten. Der Einladung war gefolgt, was man »ToutParis« zu nennen pflegt, die »Crème« aus Literatur und Kunst mit dem neuernannten Minister für Kunst und Wissenschaft, Raymond Poincaré an der Spitze, alte und neue Freunde, Kritiker, Theaterleute, Schriftsteller, Dichter. Und in der Hochstimmung des exquisiten Mahles, das man im Freien servierte, bei den Klängen einer Zigeunerkapelle und den Lobpreisungen der Tischreden fiel es auch nicht weiter auf, daß einige nicht erschienen waren, die unbedingt dahin gehörten. Die Akademie hatte keinen Vertreter geschickt, und der ewig mißgünstige Edmond de Goncourt war ebensowenig gekommen wie Zolas einstiger Mitstreiter Huysmans oder Alphonse Daudet.
    Grund der Einladung war der erfolgreiche Abschluß von Zolas großer Romanreihe »Die Rougon Macquart«, deren letzter Band, »Doktor Pascal«, eben bei Charpentier als Buch erschienen war. Damit hatte Zola eine Arbeit fertiggestellt, deren erste Entwürfe noch in die Zeit Napoleons III. zurückreichten.
    Als Zola 1868 dem Verleger Lacroix seinen Plan vorlegte, in zehn Bänden die Geschichte einer Familie unter dem Zweiten Kaiserreich zu schreiben, glaubte er, diese Arbeit in fünf Jahren mit einem Rhythmus von zwei Bänden pro Jahr abschließen zu können. Inzwischen waren aus den zehn Bänden zwanzig geworden und aus den fünf Jahren ein Vierteljahrhundert. Kein Wunder, daß Zola die Arbeit an diesem Werk allmählich als Fron empfand und Eile hatte, wie er an Van Santen Kolff am 8. Juni 1892 schrieb, sie zu beenden. Die lange Ausarbeitungszeit brachte aber nicht nur ein Ermüden der ursprünglichen künstlerischen Begeisterung des Autors für seinen Plan mit sich, sondern führte notwendigerweise auch zu einem Wandel aller Voraussetzungen, auf denen dieser Plan aufgebaut war.
    1868 war Zola, dem Gegner des napoleonischen Regimes, die Republik als die große Hoffnung gesellschaftlichdemokratischer Erneuerung erschienen. Doch was sich in dieser Dritten Republik in den mehr als zwanzig Jahren ihres Bestehens vor seinen Augen bisher abgespielt hatte, war ein Hohn auf die demokratischen Erwartungen, die Zola in sie gesetzt hatte. Mit der Niederschlagung der Commune ebenso blutig begonnen wie einst das Kaiserreich, war sie in den Jahren nach ihrer Gründung ein Schauplatz ununterbrochener reaktionärer Umtriebe, in denen Orleanisten und Bonapartisten sich den Rang streitig machten, sie wieder zu stürzen und selbst das Minimum erreichter demokratischer Freiheiten abzuschaffen. Daß sie schließlich doch nicht zum Zuge kamen, lag ebenso an ihrer Uneinigkeit wie am Fehlen eines geeigneten Kronprätendenten wie insbesondere an dem Widerstand, den die sich allmählich wieder organisierende Arbeiterklasse und selbst der größte Teil der

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