Doktor Proktors Zeitbadewanne
Mal gesehen hatte.«
»Verliebt!« Juliette blies die Luft durch die Lippen. »Claude Cliché hat nicht den kleinsten Schimmer, was Verliebtsein bedeutet. Er wollte mich aus einem einzigen Grund: Das bot ihm die Möglichkeit, adlig zu werden. Wenn er eine Baronette heiratete, würde er automatisch zum Barometer. Das sagte ich auch Vater, aber der meinte, wenn er jetzt einen Rückzieher machte, würde er völlig bankrottgehen und aus dem Schloss geworfen. Außerdem solle ich mich jetzt umziehen, Claude komme gleich am selben Abend, um mir den Heiratsantrag zu machen.«
»Nochmals weia!«, sagte Lise. »Und Sie, was haben Sie da gemacht?«
»Ich schloss mich in meinem Zimmer ein und dachte nach, bis mir klar war, was ich tun musste.«
»Nämlich?«
»Heimlich Viktor heiraten, bevor jemand dazwischenfunken konnte. Nur beim ersten Mal, wenn eine Baronette heiratet, wird ihr Mann Barometer. Heiratet ein Mann eine Baronette, für die es nicht die erste Ehe ist, dann wird er genauso wenig adlig wie ein Esel und schon gar nicht wird er etwas, das mit Baro-anfängt. Wenn ich Viktor schnell und heimlich heiratete, wäre es für Claude Cliché zu spät und dann würde er uns in Frieden lassen. Dachte ich. Außerdem dachte ich, weil so ein mächtiger Krimineller wie Claude Cliché seine Augen und Ohren überall hat, wäre es das Beste, mit Viktor nach Italien zu fahren und dort zu heiraten. Gedacht – getan, ich kletterte aus dem Fenster, begab mich schnurstracks zur Pension Pommes Frites und machte ihm einen Heiratsantrag.«
Lise lachte. »Das hat Proktor erzählt. Wie haben Sie ihm den Heiratsantrag eigentlich gemacht?«
Juliette zuckte mit den Schultern. »Ich klopfte an seine Tür, er machte auf und sagte ›Hei!‹, ich fragte: ›Willst du mich heiraten?‹, er sagte Ja! und ich sagte: ›Hol schnell deinen Motorradhelm, wir fahren nach Rom und heiraten dort.‹ Erklärungen gab ich keine, ich wollte ihm lieber nicht verraten, dass Vater, sein zukünftiger Schwiegervater, ihn lieber nicht als Schwiegersohn wollte, sondern mich einem anderen versprochen hatte.«
»Und was sagte der Professor?«
»Viktor lachte und tat, was ich ihm gesagt hatte. Er setzte sich aufs Motorrad, mich in den Beiwagen und gab Vollgas. Aus Paris hinaus, gen Süden bis in die Provence, durchs Gebirge und zur italienischen Grenze. Wir fuhren die ganze Nacht, es war kalt, aber Viktors Schal, gestrickt von einer selbst erfundenen Strickmaschine, war neunzehn Meter lang, er reichte für uns beide.«
»Wie... süß.«
»Süß, ja. Aber ich wusste, inzwischen musste Cliché Alarm geschlagen und seine Nilpferde ausgesandt haben. Viktor hatte ich nichts davon erzählt. Warum sollte ich? Er war in blendender Laune, wir waren schon weit von Paris entfernt, bald wäre es überstanden. Im Morgengrauen sausten wir an einem Ortsschild vorbei in ein Dorf, Viktor sah eine Tankstelle und bremste. Ich rief ihm aus dem Beiwagen zu, er müsse weiterfahren, er dürfe hier nicht anhalten, wir könnten auch in Italien tanken, es waren ja nur noch ein paar Kilometer bis zur Grenze. Aber der Motor brummte, der lange Schal knatterte im Wind, er konnte mich nicht hören. Er hielt vor einem fetten Kerl mit Overall und einer Zigarette im Mundwinkel, der sich an die einzige Zapfsäule lehnte. Hinter ihm saß ein zweiter Kerl, das Abziehbild des ersten, auf einem Schaukelstuhl und las Zeitung. Viktor sagte, einmal volltanken bitte, ohne zu bemerken, dass ich mich aus dem Schal gewickelt und im Beiwagen versteckt hatte.«
»Warum denn das?«
»Weil ich das Schild mit dem Ortsnamen gelesen und diese beiden Kerle gesehen hatte. Kantige, breite Kinnbacken hatten sie und Zähne so groß wie Grabsteine. Sie sahen aus...«
»Ich weiß«, ächzte Lise, »wie Nilpferde! Sie waren in Inavel gelandet. Ausgerechnet!«
»Der Kerl im Overall betankte das Motorrad und schielte Viktor misstrauisch an. Dann rief er seinem Zwillingsbruder über die Schulter zu: ›Sach ma, was hatter Scheff gesacht, wie sieht dieser verrückte Professor aus?‹ – ›Lang, dünn, hässlich, Motorradbrille‹, antwortete der andere, ohne von seiner Zeitung aufzublicken. ›Heißt Proktor oder so.‹
Ich war furchtbar erschrocken, weil Claude Cliché nicht nur wusste, dass ich geflohen war, sondern auch mit wem. Viktor begriff überhaupt nichts, er fragte strahlend: ›Wie, Sie haben von mir gehört? Ich weiß, es hat da einen Artikel in der Studentenzeitung gegeben, über meine Zeitbadewanne, und
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