Doktor Proktors Zeitbadewanne
die Straße beobachtete.
»Clichés Nilpferde sind hinter uns her«, sagte Lise. »Wir sind mit knapper Not entkommen, aber sie sind sicher bald hier. Der Typ unten in der Rezeption muss auch einer von denen gewesen sein.«
»Äkskühse-moa?«, fragte Bulle.
»Ich erklär dir’s später. Schnell, zieh dich an, wir müssen hier weg.«
Bulle sah aus wie ein Fragezeichen auf zwei Beinen, gekrönt von einem Zipfelchen Seifenschaum.
»Kässkä tü dih?«, näselte er.
»Sprich wie ein normaler Mensch, wir haben keine Zeit für so ’nen Quatsch«, sagte Lise und nahm ihm die Na-senklemme ab.
»Verklag mich doch, du Furie, aber ich versteh kein Wort«, sagte Bulle.
»Was verstehst du nicht?«, fragte Lise.
»Ah, jetzt verstehe ich dich!«
»Wurde auch langsam Zeit«, murmelte Lise, die bereits ihr Gepäck im Ranzen verstaute. »Juliette bringt uns in eine andere Pension. Claude Cliché und seine Nilpferde haben ihr die letzten Wochen nachspioniert. Vor allem das Pommes Frites haben sie beobachtet, weil sie mehrmals hier gewesen ist.«
»Darum konnte ich auch nicht direkt zu euch kommen«, sagte Juliette. »Ich wusste, dass einer von der Nilpferdbande in der Rezeption sitzt, für den Fall, dass ich auftauche. Darum habe ich in einer Hauseinfahrt auf der anderen Straßenseite gewartet, dass ihr herauskommt. Ich fürchte, ich habe Lise trotzdem ein bisschen erschreckt.«
»Halb so schlimm«, sagte Lise keck. »Schnell, Bulle, das Nilpferd in der Rezeption hat uns gesehen, sie sind gleich da.«
»Immer ruhig, ich muss mich konzentrieren«, sagte Bulle und starrte seine Kleider an, die auf dem Bett lagen. »Schaunwermal, erst die Hose, dann die Schuhe. ERST die Hose, DANN die Schuhe. Ja, so wird das was.«
Dann zog er die Hose an. Und danach die Schuhe.
»Strümpfe«, sagte Lise.
»Verflixt«, sagte Bulle, schlenkerte sich die Schuhe von den Füßen und zog rasch die Strümpfe an.
»Was hast du eigentlich die ganze Zeit gemacht?«, fragte Lise.
»Gebadet«, sagte Bulle. »Und im Moulin Rouge Cancan getanzt. Eine von den Tänzerinnen fand mich total süß.«
»Sowieso«, sagte Lise.
»Das stimmt!«, sagte Bulle. »Ich bin in der Badewanne untergetaucht, und als ich wieder hochkam, war ich im Moulin Rouge. Das muss vor langer Zeit gewesen sein, alle hatten so altmodische Sachen an.«
»Du hörst wohl nie auf, verrückte Geschichten zu erfinden, was?«, fragte Lise und knallte ihren Ranzen zu. Sie war bereit.
»Und da stand ich dann«, sagte Bulle. »So nackend, wie Gott mich erschaffen hat. Vor einem großen Publikum und acht unglaublich hübschen Cancan-Tänzerinnen. Das war vielleicht mal peinlich, ich sag dir’s.«
Lise sah, wie Juliette sich am Fenster vor Lachen krümmte, ohne die Augen von der Straße zu lassen.
»Dann tauchte ich wieder unter. Hielt die Luft an und wünschte mich zurück ins Hier und Jetzt. Und was passierte? Als ich auftauchte, war ich wieder hier, als ob nichts passiert wäre!«
»Weil nichts passiert ist«, sagte Lise. »Nur in deinem verrückten Kopf. In der wirklichen Welt hingegen ist jede Menge passiert, also wenn du dich dann mal bitte beeilen würdest.«
Bevor Bulle die wenigen Dinge, die er ausgepackt hatte, wieder in seinen Ranzen tat, nahm er noch ein kleines Glas mit Luftlöchern im Deckel heraus und tat es behutsam in eine Seitentasche.
»Was ist das?«, fragte Lise scharf.
»Eine Siebenbeinige Peruanische Saugespinne.«
»Was? Du hast die mitge. . .?«
Bulle zuckte mit den Schultern. »Sie wirkte so allein da in Doktor Proktors Keller. Kein Professor zu Hause und so weit weg von ihren Kumpels in Peru, stimmt doch? Ich habe sie Perry getauft. Verklag mich, aber wir hatten gesagt, dass wir Sachen mit P nach Paris mitnehmen können, oder?«
»Jaja, stimmt«, sagte Lise. »Aber jetzt beeilst du dich. Und Schluss mit den Fantasiegeschichten.«
»Ich erfinde keine Fanta. . .«
»Nein? Wie hast du dann verstehen können, dass eine von den Tänzerinnen dich süß fand? Kannst du auf einmal Französisch?«
Juliettes ruhige Stimme am Fenster unterbrach sie: »Leute. Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht.«
Bulle und Lise drehten sich zu ihr um.
»Die gute ist: Bulle braucht sich nicht zu beeilen. Die schlechte ist: Die Nilpferde haben die Pension umzingelt und wir kommen sowieso nirgends mehr hin.«
»Ui«, sagte Lise leise.
»Ui«, sagte Bulle leise.
»Und was machen wir jetzt?«, fragte Lise. »Die Nilpferde füllen uns Kleingeld in die Taschen und
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