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Dokument1

Dokument1

Titel: Dokument1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown
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seine Haut wirkte stumpf wie Schiefer.
    Er sagte ein Wort - »Christine!« - und ließ sie jählings los. Er rannte vorwärts, prallte mit den Beinen gegen die Stoßstange eines Cadillac, taumelte, fing sich wieder, rannte weiter.
    Sie begriff endlich, daß es etwas mit dem Wagen zu tun hatte
    - dem Wagen… immer war es dieser gottverdammte Wagen -, und ein Zorn stand in ihr auf, total und verzweifelt. Zum erstenmal fragte sie sich, ob sie ihn überhaupt lieben konnte, ob Arnie das überhaupt zuließ.
    Ihr Zorn wurde sofort gedämpft, als sie selbst hinschaute -
    und es sah.
    Arnie rannte zu dem, was von seinem Wagen übriggeblieben war, die Hände nach vorn gestreckt, und blieb abrupt davor stehen, es war eine erschreckende Geste der hoffnungslosen Abwehr, die klassische Filmpose des Verkehrsopfers im letzten Augenblick vor dem tödlichen Zusammenstoß.
    So verharrte er ein paar Sekunden lang, als müsse er den Wagen und auch die ganze Welt anhalten. Dann sanken seine Arme herab. Sein Adamsapfel schnellte zweimal auf und nieder, als bemühte er sich, etwas hinunterzuschlucken - ein Stöhnen oder einen Schrei -, und dann wirkten Kehle und Hals auf einmal wie aus Stein gemeißelt: Jeder Muskel trat hervor, jede Sehne, jedes Blutgefäß war perfekt herausgearbeitet wie auf einem Relief. Es war der Hals eines Mannes, der ganz allein versucht, ein Klavier zu tragen.
    Leigh ging langsam auf ihn zu. In ihrer Hand pochte es noch, und morgen würde sie angeschwollen und praktisch nutzlos sein; doch im Augenblick hatte sie sie vergessen. Ihr Herz wandte sich ihm zu und schien ihn auch zu finden, sie spürte sein Leid und teilte es - oder jedenfalls kam es ihr so vor. Erst später erkannte sie, wie sehr Arnie sie an diesem Tag ausgeschlossen hatte, wie sehr er vorzog, mit seinem Leiden allein zu bleiben, wieviel er von seinem Haß vor ihr versteckte.
    »Arnie, wer hat das getan?« fragte sie mit brüchiger Stimme.
    Nein, sie hatte diesen Wagen nie gemocht, aber ihn in diesem erbärmlichen Zustand zu sehen, ließ sie Arnies Bindung plötzlich verstehen, und sie konnte den Wagen nicht mehr hassen-glaubte sie jedenfalls.
    Arnie gab keine Antwort. Er stand nur da und betrachtete Christine, die Augen lodernd, den Kopf gesenkt.
    Die Panoramascheibe war an zwei Stellen eingeschlagen; die Splitter des Sicherheitsglases waren über die aufgeschlitzten Sitzpolster verstreut wie Rheinkiesel-Diamanten. Die vordere Stoßstange war halb abgerissen und lag auf dem Asphalt neben einem Gewirr von schwarzen Drähten, die den Tentakeln eines Tintenfisches glichen. Drei von den vier Seitenfenstern waren ebenfalls zertrümmert. In Hüfthöhe waren Löcher in die Karosserie gestanzt worden - Löcher, die ein gezacktes Wellenmu-ster im Blech bildeten. Es sah danach aus, als habe jemand einen scharfen, schweren Gegenstand verwendet; vermutlich das keilförmige Ende eines Montiereisens. Die Beifahrertür hing schräg in ihren Angeln, und Leigh sah, daß das Glas aller Instrumente eingeschlagen worden war. Überall lagen Polsterwatte und Isoliermaterial der Innenverkleidung herum. Die Nadel des Geschwindigkeitsmessers stak in der Gummimatte unter dem Lenkrad.
    Arnie ging langsam um den Wagen herum und nahm alles in sich auf. Leigh sprach ihn noch zweimal an. Er gab ihr beide Male keine Antwort. Das bleierne stumpfe Grau war nun von zwei hektisch roten Brandflecken durchbrochen, die sich dicht unter den Augen auf den Wangenknochen ausbreiteten. Er nahm das Tintenfisch-Ding vom Asphalt auf, und sie sah, daß es die Verteilerkappe war - ihr Vater hatte ihr die Funktion dieses Teils einmal erklärt, als er an seinem Auto gebastelt hatte.
    Arnie betrachtete die Kappe einen Moment, als studierte er ein exotisches zoologisches Wesen, und ließ es wieder fallen.
    Glassplitter knirschten unter ihren Schuhsohlen. Sie redete ihn wieder an. Er antwortete nicht, und nun empfand sie nicht nur schreckliches Mitleid für ihn, sie fing auch an, sich zu fürchten.
    Sie erzählte Dennis Guilder später, sie habe es in diesem Augenblick durchaus für möglich gehalten, daß Arnie den Verstand verloren hatte.
    Er stieß mit der Schuhkappe eine Zierleiste aus dem Weg.
    Klirrend prallte sie gegen den Zaun an der Rückseite des Parkplatzes. Die Schlußlichter waren ebenfalls eingeschlagen, noch mehr von diesen glitzernden unechten Steinen; diesmal auf dem Asphalt, nicht auf den zerschlitzten Polstersitzen, diesmal keine Rheinkiesel, sondern unechte Rubine.
    »Arnie…«

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