Dokument1
guter, anständiger und fröhlicher (vielleicht auch sexuell interessanter) Arnie Cunningham steckte, hatte sich kaum verändert. Es war der Wagen, das war alles. Als würde sie zusehen, wie ein starker Geist langsam unter dem Einfluß einer bösen, zersetzenden suchterregenden Droge auseinanderbrach.
Arnie fuhr sich mit den Händen durch die mit Schnee bestäubten Haare, eine charakteristische Geste der Verwirrung und des Zorns. »Du hattest einen schlimmen Erstickungsanfall im Wagen, okay. Ich kann verstehen, daß du dich danach nicht gerade großartig fühlst. Aber daran war der Hamburger schuld, Leigh, oder vielleicht nicht einmal das. Vielleicht wolltest du gerade etwas sagen, während du einen Bissen kautest, oder du hast einfach beim Essen im falschen Moment geatmet. Ebensogut könntest du Ronald McDonald beschuldigen. Es passiert eben, daß Leute sich beim Essen verschlucken. Mehr war es doch nicht. Manchmal sterben sie auch daran. Du nicht. Gott sei Dank. Aber meinen Wagen dafür verantwortlich zu machen…!«
Ja, das klang alles sehr einleuchtend. Und war es auch. Nur, daß hinter Arnies grauen Augen etwas vorging. Etwas Fieberhaftes, was nicht unbedingt eine Lüge war, sondern… ein Versuch, sich zu rehabilitieren? Eine Flucht vor der Wahrheit?
»Arnie«, sagte sie, »ich bin müde, habe Kopfschmerzen, und alle Rippen tun mir weh, und ich fürchte, ich habe nur einmal die Kraft dazu, dir alles zu sagen. Willst du mir zuhören?«
»Wenn es um Christine geht, verschwendest du nur deinen Atem«, sagte er, und wieder trat dieser dickfellige, störrische Ausdruck in sein Gesicht. »Es ist verrückt, ihr die Schuld zu geben, und du weißt das auch.«
»Ja, ich weiß, es ist verrückt, und ich weiß, daß ich meinen Atem verschwende«, sagte Leigh. »Trotzdem bitte ich dich, mir zuzuhören.«
»Ich höre ja zu.«
Sie holte tief Luft, achtete nicht auf den ziehenden Schmerz in ihrer Brust. Sie sah auf Christine, die, noch immer im Leerlauf schnurrend, weiße Dampfwolken in das dichte Schneegestöber hinaufschickte, dann blickte sie hastig weg.
Nun waren es die Parklichter, die sie anschauten wie Augen, die gelben Augen eines Luchses.
»Als ich keine Luft mehr bekam … als ich erstickte … das Armaturenbrett… die Lichter darauf … sie veränderten sich.
Sie waren … nein, ich möchte gar nicht so weit gehen … sie sahen aus wie Augen.«
Er lachte, ein kurzer bellender Laut in der kalten Luft. Im Haus wurde ein Vorhang zur Seite gezogen, jemand schaute hinaus, dann fiel der Vorhang wieder zurück.
»Wenn dieser Anhalter… dieser Gottfried… wenn er nicht gewesen wäre, wäre ich jetzt tot, Arnie. Ich wäre tot.« Sie sah ihm forschend in die Augen und zwang sich dazu, weiterzu-sprechen. Einmal, sagte sie sich, nur ein einziges Mal werde ich darüber reden. »Du hast mir selbst erzählt, daß du drei Jahre lang inder Cafeteria der Libertyville High School gearbeitet hast. Ich habe das Erste-Hilfe-Plakat mit der Heimlich-Methode an der Küchentür gesehen. Du mußt es auch gesehen haben. Aber du hast diesen Erste-Hilfe-Griff bei mir nicht versucht, Arnie. Du hast mir auf den Rücken geklopft. Das funktioniert nicht. Auch ich hatte mal einen Job in einem Restaurant in Massachusetts, und ehe du im Erste-Hilfe-Unterricht mit der Heimlich-Methode bekanntgemacht wirst, geben sie dir eine Warnung mit auf den Weg: Wenn jemand zu ersticken droht, helfen Schläge auf den Rücken überhaupt nichts.«
»Was willst du damit sagen?« fragte er mit dünner, atemloser Stimme.
Sie antwortete nicht, sah ihn nur an. Ihre Blicke kreuzten sich einen Moment, dann wendete er seine Augen - wütende, gequälte, fast verstörte Augen - ab.
»Leigh, Menschen sind vergeßlich. Du hast recht, ich hätte den Griff anwenden sollen. Aber wenn du den Kurs selbst besucht hast, dann weißt du, daß man sich damit auch selbst helfen kann.« Arnie schob die Hände zu einer Faust zusammen, wobei ein Daumen ausgestreckt war, und preßte gegen seih Zwerchfell, um es ihr zu demonstrieren. »Aber in der ersten Aufregung vergißt man…«
»Ja, man vergißt. Du schienst in diesem Wagen eine Menge vergessen zu haben. Zum Beispiel, wie Arnie Cunningham ist.«
Arnie schüttelte den Kopf. »Du brauchst jetzt Zeit, um über alles nachzudenken, Leigh. Du brauchst…«
»Das ist genau das, was ich jetzt nicht brauche!« erwiderte sie mit einer Heftigkeit, von der sie nicht gewußt hatte, daß sie noch in ihr steckte. »Ich habe in meinem
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