Dokument1
dem Coke-Automaten, sein einfältiges Gesicht ein Bild verwirrten Entsetzens - er sah Bill Upshaws sechsjährigem Sohn ähnlich, kurz bevor der in Tränen ausgebrochen war.
»Haben Sie Ihre Rechte verstanden, die ich Ihnen vorgelesen habe?« fragte Rick Mercer, der den Einsatz leitete. Hinter ihm war die Werkstatthalle leer bis auf vier uniformierte Beamte, die sich die Nummern der Wagen aufschrieben, die beschlagnahmt waren.
»Yeah«, antwortete Will. Sein Gesicht war ruhig, der einzige Hinweis auf seine Erregung war das verstärkte Pfeifen beim Atmen, das rasche Heben und Senken seines mächtigen Brustkorbs unter dem Weißen Hemd, und der Inhalator, den er die ganze Zeit in der Hand hielt.
»Haben Sie uns zu diesem Zeitpunkt etwas zu sagen?« fragte Mercer.
»Ohne meinen Anwalt sage ich kein Wort.«
»Ihr Anwalt kann zu uns nach Harrisburg kommen«, sagte Junkins.
Will musterte Junkins verächtlich und sagte nichts. Draußen hatten uniformierte Polizisten amtliche Siegel an alle Türen und Fenster der Werkstatt angebracht. Nur der Hinterausgang blieb unversiegelt. Bis der Staatsanwalt die Beschlagnahmeverfü-
gung wieder aufhob, war diese Tür der einzige Zugang.
»Das ist die idiotischste Geschichte, die mir in meinem ganzen Leben begegnet ist«, sagte Will Darnell schließlich.
»Die wird noch viel verrückter werden«, sagte Mercer mit einem ernsten Lächeln. »Sie werden ziemlich lange weg sein, Will. Vielleicht überträgt man Ihnen eines Tages die Verantwortung für den Gefängnisfuhrpark.«
»Ich kenne Sie« sagte Will und blickte den Beamten an. »Ihr Name ist Mercer. Ich kannte auch Ihren Vater gut. Er war der korrupteste Polizist, den Kings County jemals hervorbrachte.«
Das Blut wich aus Rick Mercers Gesicht. Er hob eine Hand.
»Hör auf, Rick«, warnte Junkins.
»Nur zu«, sagte Will, »vergnügt euch auf meine Kosten.
Erzählt euch Witze vom Gefängnisfuhrpark. Ich bin spätestens in zwei Wochen wieder hier. Und wenn ihr das nicht wißt, seid ihr noch dümmer, als ihr ausseht.«
Er blickte an den beiden vorbei. Seine Augen hatten einen intelligenten, sarkastischen… und gehetzten Ausdruck.
Abrupt führte er den Inhalator an den Mund und atmete tief ein.
»Schafft mir diesen Sack raus«, befahl Mercer. Er war immer noch weiß.
»Alles in Ordnung?« fragte Junkins. Eine halbe Stunde später saßen sie in einem neutralen Ford. Die Sonne hatte sich entschlossen, hinter den Wolken hervorzukommen, und schien auf tauenden Schnee und nasse Straßen. Darnells Werkstatt lag verwaist hinter ihnen. Darnells Bücher waren hinter den versiegelten Türen sicher - desgleichen Cunninghams Plymouth.
»Diese Bemerkung über meinen Vater«, sagte Mercer mit dumpfer, gepreßter Stimme. »Mein Vater hat sich erschossen, Rudy. Jagte sich eine Kugel in den Kopf. Und ich dachte immer… im College las ich davon…« Er zuckte mit den Achseln. »Es gibt eine Menge Polizisten, die Selbstmord begin-gen. Melvin Purvis zum Beispiel. Das war der Mann, der Dillinger zur Strecke brachte. Aber man macht sich so seine Gedanken.«
Mercer zündete sich eine Zigarette an und sog den Rauch mit einem langen zitternden Atemzug in die Lungen ein.
»Es war ein Schuß ins Blaue. Er hatte keine Ahnung«, sagte Junkins.
»Doch!« sagte Mercer heftig. Er kurbelte das Fenster herunter und warf die Zigarette hinaus. Er nahm das Mikrofon aus der Halterung unter dem Armaturenbrett. »Zentrale, hier ist Einsatzwagen zwei.«
»Ich höre, Einsatzwagen zwei.«
»Was macht unser Kurier zur Zeit?«
»Er befindet sich auf der Bundesstraße 84 und nähert sich Port Jervis.« Port Jervis war der »Grenzübergang« zwischen den beiden Staaten Pennsylvania und New York.
»Sind die Kollegen von New York einsatzbereit?«
»Ja.«
»Geben Sie den Kollegen in New York durch, daß sie erst eingreifen, wenn er sich bereits nordöstlich von Middletown befindet. Wir brauchen seine Straßenzoll-Quittung als Beweis.«
»Roger.«
Mercer hängte das Mikrofon ein und lächelte dünn. »Sobald er die Staatsgrenze nach New York überquert, ist der Junge zweifellos ein Fall für die Bundespolizei; aber wir kommen trotzdem zuerst zum Zuge, ist das nicht herrlich?«
Junkins gab ihm keine Antwort. Er konnte nichts Herrliches an diesem Einsatz finden - weder an Darnells Inhalator, noch am Selbstmord von Mercers Vater. Junkins beschlich das unheimliche Gefühl, daß er mit diesem Einsatz etwas Verhängnisvolles eingeleitet hatte, ein banges Gefühl,
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