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Dokument1

Dokument1

Titel: Dokument1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown
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Mittel- und Kurzwelle, denn 1958 war das Ultrakurz-wellenband größtenteils noch eine Wüstenlandschaft.
    Ich legte die Hände auf das Lenkrad, und es geschah etwas.
    Selbst heute, nach vielen Gedanken darüber, weiß ich nicht genau, was da passiert ist. Vielleicht war es eine Vision -
    aber dafür war sie nicht spektakulär genug. Es war nur, daß einen Moment lang die zerschlissenen Polster verschwunden schienen. Die Sitze waren neu und rochen angenehm nach Vinyl… oder vielleicht war es sogar echtes Leder. Die abgewetzten Stellen am Lenkrad waren verschwunden, der Chrom blitzte nur so in der späten Nachmittagssonne, die durch das Garagentor fiel.
    Laß uns bummeln gehen, mein Süßer, schien Christine mir in der stillen, heißen Abgeschiedenheit von LeBays Garage zuzuflüstern. Nun fahr schon.
    Und für einen Augenblick schien sich alles zu verwandeln.
    Dieses häßliche Spinnennetz in der Windschutzscheibe war verschwunden - oder jedenfalls schien es so. Der Rasen vor dem Garagentor war kein trostloser gelblicher Acker mehr, sondern ein gepflegter, kurzgeschorener, smaragdgrüner Teppich. Die Hauswand war frisch gestrichen und zeigte keine Risse. Draußen auf der Straße sah ich (oder glaubte zu sehen oder zu träumen)’ einen 57er Cadillac mit Trittbrett an der Seite und flaschengrünem Hochglanzlack und Weißwandreifen, nicht einen Rostfleck auf den Radkappen, die wie Spiegel blitzten. Ein Cadillac von der Größe einer Hochsee-Jacht. Und warum auch nicht? Der Sprit war fast so billig wie Leitungswasser.
    Laß uns bummeln, mein Süßer… laß uns in die Stadt fahren!
    Ja, weshalb nicht? Ich könnte losfahren, in die Stadt hinein, an der alten Oberschule vorbei - sie würde erst 1964, also in sechs Jahren, abbrennen - und unterwegs würde ich dann das Radio einstellen und Chuck Berrys Hit »Maybellene« hören oder die Everlys mit ihrem Evergreen »Wake Up Little Susie«
    oder vielleicht Robin Luke, der »Susie Darling« schluchzte.
    Und dann würde ich…
    Und dann sprang ich so rasch ich konnte aus dem Wagen.
    Die Tür öffnete sich mit einem rostigen höllischen Kreischen, und ich stieß mir auch noch den Ellenbogen an der Garagen-wand. Ich warf die Wagentür wieder zu (eigentlich wollte ich sie gar nicht mehr anfassen, um bei der Wahrheit zu bleiben), und dann stand ich nur noch da und starrte auf den Plymouth, der, falls nicht ein Wunder geschah, binnen kurzem meinem Freund Arnie gehören würde. Ich rieb mir den Musikantenkno-chen. Mein Herz schlug zu schnell.
    Nichts. Kein satter Chrom, keine neuen Polster. Dafür eine Menge Beulen und Rost, ein fehlender Scheinwerfer (das hatte ich gestern gar nicht bemerkt), die Antenne verbogen. Und dazu dieser schale, schmutzige Geruch des Alters.
    Und von diesem Moment an stand für mich fest, daß ich den Wagen meines Freundes Arnie nicht mochte.
    Ich ging wieder aus der Garage, schaute aber immer wieder über die Schulter zurück - ich weiß nicht, weshalb, aber dieses Ding hinter meinem Rücken - das war mir unheimlich. Ich weiß, wie lächerlich das klingen muß, aber so empfand ich es damals. Da stand es nun mit seinem verbeulten, rostigen Kühlergrill, nichts Unheimliches, nicht einmal etwas Befremdli-ches, nur ein sehr alter Plymouth mit einem Inspektionsaufkle-ber, der seit dem 1. Juni 1976 ungültig war - seit langer Zeit.
    Arnie und LeBay kamen aus dem Haus. Arnie hatte ein weißes Stück Papier in der Hand - seinen Kaufvertrag vermutlich. LeBays Hände waren leer, er hatte das Geld schon verstaut.
    »Ich hoffe, du wirst Spaß an ihr haben«, sagte LeBay, und irgendwie kam er mir wie ein schmieriger, alter Kuppler vor, der einen kleinen Jungen verführen wollte, und ich empfand sogar Ekel vor ihm, er mit seiner Schuppenflechte auf dem kahlen Kopf und dem schmuddeligen Stützkorsett. »Sie wird dir gefallen, wenn du dich an sie gewöhnt hast.«
    Seine wäßrigen Augen entdeckten mich, blieben eine Sekunde bei mir und glitten dann zu Amie zurück.
    »Wenn du dich an sie gewöhnt hast«, wiederholte er.
    »Jawohl, Sir, sicher wird sie mir gefallen«, sagte Arnie geistesabwesend. Er ging auf die Garage zu wie ein Schlafwandler, stand da und betrachtete sein Auto.
    »Der Schlüssel steckt«, sagte LeBay. »Du mußt sie raus-fahren. Du verstehst das, nicht wahr?«
    »Springt sie denn an?«
    »Gestern abend ist sie bei mir angesprungen«, entgegnete LeBay, aber sein Blick glitt von uns weg zum Horizont. Und dann, im Ton eines Mannes, den das alles nicht mehr

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