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Dokument1

Dokument1

Titel: Dokument1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown
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schien da ein kleines Mädchen zu sitzen, mit dem blauschwarzen Gesicht einer Erwürgten, die Augen quollen aus den Höhlen wie bei einem grausam gequetschten Stofftier. Ich schloß schaudernd die Augen, und als ich sie wieder öffnete, sah ich Buddy Repperton und Richie Trelawney im Rückspiegel. An Buddys Mund, Kinn, Hals und Hemd klebte gestocktes Blut. Richie wirkte wie ein verbrannter Klumpen - aber seine Augen waren lebendig und wachsam.
    Langsam hob Buddy den rechten Arm. Er hielt eine Flasche Texas Driver in seiner schwarzen Hand.
    Abermals schloß ich die Augen. Und danach blickte ich nicht mehr in den Rückspiegel.
    Ich erinnere mich an Rock und Roll im Radio: Dkm und die Belmonts, Ernie K-Doe, die Royal Teens, Bobby Rydell (»Oh, Bobby, oh… everything’s cool… we’re glad you go to a swingin’ school…«)
    Ich erinnere mich noch, daß für eine Weile kleine rote Würfel aus Styropor am Innenspiegel baumelten, dann Babyschuhe, und schließlich nichts mehr.
    Doch am stärksten ist mir im Gedächtnis geblieben, wie ich mich an die Idee klammerte, diese Dinge wie der Geruch von verwesendem Fleisch und verschimmelnder Polsterbezüge existierten nur in meiner Phantasie - daß es sich dabei um Halluzinationen handelte, wie sie ein Opiumraucher im Rausch erlebt.
    Ich kam mir tatsächlich wie jemand im Drogenrausch vor, der versucht, mit einer nüchternen Person ein vernünftiges Gespräch zu führen. Denn Arnie und ich unterhielten uns; ich erinnere mich ganz deutlich daran, doch nicht, worüber wir sprachen. Ich hielt mich ganz gut. Ich sprach mit normaler Stimme. Ich antwortet^. Und die zehn oder zwölf Minuten schienen Stunden zu dauern.
    Ich sagte bereits, daß es unmöglich ist, Ihnen eine objektive Beschreibung dieser Fahrt zu geben; wenn es eine logische Abfolge von Ereignissen gab, ist sie mir heute nicht mehr gegenwärtig oder die Erinnerung daran blockiert. Die Fahrt durch die kalte, rabenschwarze Nacht war in Wirklichkeit eine Reise auf einem Boulevard der Hölle. Es ist mir nicht alles im Gedächtnis haften geblieben, was damals passierte; aber ich erinnere mich an mehr, als ich will. Wir stießen rückwärts aus der Einfahrt hinein in eine Tollhaus-Welt, wo alle Schreckens-wesen lebendige Wirklichkeit waren.
    Wir fuhren zurück in die Vergangenheit, habe ich gesagt, aber war das wirklich so? Die Straßen von heute waren immer noch da; aber gleichsam nur als dünne, darübergelegte Filmkopie -
    als hätte man das Libertyville der endsiebziger Jahre auf eine durchsichtige Folie aufgetragen und über eine Zeit gelegt, die irgendwie realer war, und ich konnte spüren, wie diese Zeit ihre toten Hände nach uns ausstreckte, uns einzufangen und für immer dort festzuhalten versuchte. Arnie hielt an Kreuzungen, wo wir eigentlich die Vorfahrt hatten; bei anderen wieder, wo die Ampeln auf Rot standen, fuhr er mit Christine in zügigem Tempo weiter. Auf der Main Street sah ich das Juwe-liergeschäft von Shipstad und das Strand-Kino, beides Gebäude, die 1972 abgerissen worden waren, um Platz zu schaffen für die “neue Pennsylvania Merchants Bank. Die Wagen, die entlang der Straße parkten - überall dort dicht an dicht, wo Silvesterpartys gefeiert wurden -, schienen alle vor den sechziger Jahren gebaut zu sein - oder vor dem Jahr 1958.
    Lange bulläugige Buicks. Ein DeSoto-Firelite-Kombi mit einem blauen Längsstreifen, der an ein Prüfsiegel erinnerte. Ein viertüriger 57er Dodge Lancer Hardtop. Ford Fairlanes mit ihren charakteristischen Schlußlichtern, die aussahen wie auf der Seite liegende Doppelpunkte. Pontiacs mit Kühlerverkleidun-gen, die noch nicht in der Mitte geteilt waren. Rambiers, Packards, ein paar spitznasige Studebaker und einmal, phantastisch und ganz neu, ein Edsel.
    »Ja, dieses Jahr wird besser werden«, sagte Arnie. Ich blickte zu ihm hinüber. Er hob seine Bierdose an die Lippen, und bevor sie seinen Mund erreichte, hatte sein Gesicht sich in LeBays Fratze verwandelt, eine verwesende Gestalt aus einem Horror-Comic. Die Finger, die die Bierdose festhielten, waren nur noch Knochen. Ich schwöre Ihnen - sie waren blanke Knochen, und die Jeanshose lag so plattgedrückt auf dem Polster, als steckten nur ein paar Besenstiele darin.
    »Wird es?« fragte ich, während ich nur ganz flach durch den Mund atmete, damit ich diese widerlich süße und erstickende Ausdünstung nicht ständig in der Nase hatte.
    »Es wird«, sagte LeBay, nur war es jetzt wieder Arnie, der neben mir saß, und

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