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Dokument1

Dokument1

Titel: Dokument1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown
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während wir vor einem Stopschild anhiel-ten, sah ich einen 77er Camaro an uns vorbeirasen. »Ich bitte dich nur, daß du mir ein bißchen beistehst, Dennis. Laß dich nicht von meiner Mutter in diese Scheiße hineinziehen. Das wird sich schon alles wieder geradebiegen.« Und nun war er LeBay, der mich mit fleischlosem Mund angrinste bei der Idee, daß die Dinge sich wieder geradebiegen würden. Ich hatte das Gefühl, als ginge mein Gehirn aus den Fugen. Sicher würde ich gleich schreien.
    Ich wandte die Augen von diesem schrecklichen Halbgesicht ab und sah, was Leigh gesehen hatte: Instrumente am Armaturenbrett, die keine Instrumente mehr waren, sondern hervorquellende, leuchtend grüne Augen, die mich anglotzten.
    Irgendwann endete dieser Alptraum. Wir hielten am Bordsteinrand in einem Stadtteil, den ich überhaupt nicht kannte, ein Bezirk, den ich - das hätte ich beschwören können - noch nie in meinem Leben gesehen hatte. Da standen dunkle Einfamilienhäuser, einige zu drei Vierteln fertig, andere nur im Rohbau.
    Ein Stück weiter, beleuchtet von Christines Scheinwerfern, stand ein Schild’.
    MAPLEWAY HÄUSER
    ALLEINVERTRETUNG: LIBERTYVILLE REALTORS
    Das Richtige für Sie und Ihre Familie
    Denken Sie mal drüber nach!
    /
    »Nun, wir sind da«, sagte Arnie. »Schaffst du es allein bis zum Haus, Mann?»
    Ich sah mich beklommen in dieser verlassenen, schneebedeckten Baulandschaft um und nickte dann. Lieber hier allein auf Krücken, als noch länger in diesem schrecklichen Wagen.
    Ich spürte ein breites Plastiklächeln auf meinem Gesicht.
    »Sicher. Vielen Dank.«
    »Keine Ursache«, sagte Arnie. Er trank sein Bier aus, und LeBay warf die leere Dose in den Abfallbeutel. »Wieder ein toter Soldat.«
    »Yeah«, sagte ich. »Glückliches neues Jahr, Arnie.« Ich tastete nach dem Griff und öffnete die Tür. Ich fragte mich, ob ich überhaupt aussteigen konnte, ob meine zitternden Arme die Krücken halten konnten.
    LeBay blickte mich grinsend an. »Bleib nur auf meiner Seite, Dennis«, sagte er. »Du weißt, was mit Scheißern passiert, die sich gegen mich stellen.«
    »Ja«, flüsterte ich. Ich wußte nur zu gut Bescheid.
    Ich stellte meine Krücken auf den Boden und stemmte mich ohne Rücksicht darauf, ob sie vielleicht auf Eis stehen mochten.
    Die Krücken stützten mich. Und sobald ich neben dem Wagen stand, fand eine fließende Verwandlung mit der Welt statt.
    Lichter flammten auf - aber sie waren natürlich schon die ganze Zeit dagewesen. Meine Familie war im Juni 1959 in das Mapleway-Neubaugebiet gezogen, ungefähr ein Jahr vor meiner Geburt. Wir wohnten noch immer hier, aber der Wohnbezirk hieß schon seit 1963 oder 64 nicht mehr Mapleway-Siedlung.
    Als ich neben dem Wagen stand, sah ich das Haus meiner Eltern in ganz normaler Umgebung stehen. Ich schaute zurück auf Arnie, darauf gefaßt, wieder LeBay zu sehen, den Taxifah-rer der Hölle mit seiner nächtlichen Fracht der längst Verstorbenen.
    Doch da saß nur Arnie in seinem Schul-Jackett, auf der linken Brusttasche seinen Namen eingenäht; Arnie, der viel zu blaß und zu einsam aussah, Arnie mit einer Bierdose zwischen den Oberschenkeln.
    »Gute Nacht, Mann.«
    »Gute Nacht«, sagte ich. »Sei vorsichtig auf dem Heimweg.
    Laß dich nicht erwischen.«
    »Keine Bange«, sagte er. »Mach’s gut, Dennis.«
    »Werde ich.«
    Ich schloß den Wagenschlag. Mein Entsetzen hatte sich in eine tiefe, schreckliche Trauer verwandelt - es war, als wäre er bereits begraben gewesen. Lebendig begraben. Ich sah zu, wie Christine sich vom Bordstein löste und die Straße hinunterfuhr.
    Ich blickte ihr nach, bis sie um die nächste Ecke bog und aus meinem Blickfeld verschwand. Dann erst ging ich den Weg zur Haustür hinauf. Mein Vater hatte fast zehn Pfund Salz und Sand auf den Weg gestreut. Offenbar hatte er dabei an mich gedacht.
    Ich hatte schon drei Viertel des Wegs zur Haustür zurückgelegt, als etwas Graues wie Rauch über mich hinzutreiben schien, und ich mußte anhalten, senkte den Kopf und versuchte, nicht umzukippen. Ich konnte hier draußen ohnmächtig werden, war mein verworrener Gedanke, und vor der eigenen Haustür erfrieren, wo Arnie und ich früher Himmel und Hölle, Prellball und Verstecken gespielt hatten.
    Endlich, nach und nach, lichtete sich dieser graue Nebel wieder. Ich spürte einen Arm um meine Hüften. Es war mein Vater, in Bademantel und Pantoffeln.
    »Dennis, bist du okay?«
    War ich okay? Ich war von einer Leiche nach Hause gebracht

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