Dokument1
überhaupt nicht gewechselt haben. Denn als nächstes sagten Sie, er hätte keine Abdrücke hinterlassen.«
»Dennis, wahrhaftig, ich…«
»Hören Sie, wenn Sie damals etwas sagen wollten, dann sagen Sie es um Himmels willen jetzt!« rief ich. Meine Stimme kippte über. Ich wischte mir über die Stirn, und meine Hand war schweißnaß.
»Es ist für mich nicht leichter als für Sie, Mr. LeBay. Arnie ist auf dieses Mädchen fixiert, sie heißt Leigh Cabot, nur glaube ich nicht, daß Arnie auf sie fixiert ist, sondern ich glaube, es ist Ihr Bruder. Ihr toter Bruder! Und nun reden Sie schon, bitte!«
Er seufzte.
»Mit Ihnen reden?« sagte er. »Reden? Über diese alten Ereignisse reden … nein, diese alten Vermutungen … das wäre genauso, als würde ich schlafende Hunde wecken, Dennis.
Bitte, ich weiß nichts.«
Ich hätte ihm sagen können, daß der Hund längst geweckt war, aber das wußte er ja schon.
»Sagen Sie mir, was Sie vermuten!«
»Ich werde zurückrufen.«
»Mr. LeBay … bitte…«
»Ich werde Sie zurückrufen«, wiederholte er. »Ich muß zuerst mit meiner Schwester Marcia in Colorado sprechen.«
»Wenn es Ihnen hilft, werde ich lieber…«
»Nein, sie würde sich weigern, mit Ihnen zu sprechen. Wir haben selbst nur ein- oder zweimal darüber geredet, wenn überhaupt. Ich hoffe, Sie haben ein reines Gewissen, Dennis.
Denn Sie verlangen, daß wir alte Wunden aufreißen und sie von neuem bluten lassen. Also frage ich Sie noch einmal: Wie sicher sind Sie?«
»Sicher«, flüsterte ich.
»Ich werde Sie zurückrufen«, sagte er und legte auf.
Fünfzehn Minuten verstrichen, dann zwanzig. Ich humpelte auf meinen Krücken im Zimmer auf und ab, unfähig, stillzusit-zen. Ich blickte durch das Fenster hinaus auf die winterliche Straße, eine Studie in Schwarz und Weiß. Zweimal ging ich zum Apparat, telefonierte aber nicht, weil ich fürchtete, er könnte zur gleichen Zeit versuchen, mich zu erreichen, aber noch mehr fürchtete ich, er würde überhaupt nicht mehr zurückrufen. Als ich das drittemal die Hand zum Hörer ausstreckte, läutete es. Ich zuckte zurück, als wäre ich gebissen worden, und nahm dann rasch den Hörer ab.
»Hallo?« sagte Ellies atemlose Stimme unten in der Diele.
»Donna?«
»Ist Dennis Guilder…« begann LeBays Stimme und klang noch viel älter und gebrochener.
»Das ist für mich, Ellie«, sagte ich.
»Nun ja, wen interessiert das schon«, sagte Ellie schnippisch und legte wieder auf.
»Hallo, Mr. LeBay«, sagte ich. Mein Herz klopfte heftig.
»Ich habe mit ihr gesprochen«, sagte er ernst. »Sie meinte, ich sollte mich auf mein eigenes Urteil verlassen. Aber sie hat Angst. Wir beide, Sie und ich, haben uns verschworen, eine alte Dame zu erschrecken, die niemandem etwas zuleide getan hat und auch mit dieser Geschichte nichts zu schaffen hat.«
»In einer guten Sache«, sagte ich.
»Tatsächlich?«
»Wenn ich nicht so dächte, würde ich Sie nicht angerufen haben«, sagte ich. »Werden Sie nun mit mir reden oder nicht, Mr. LeBay?«
»Ja«, sagte er, »mit Ihnen, aber mit niemandem sonst. Falls Sie es jemand anderem weitererzählen sollten, werde ich alles abstreiten. Haben Sie mich verstanden?«
»Ja.«
»Also gut.« Er seufzte. »Bei unserem Gespräch im letzten Sommer, Dennis, habe ich Sie einmal über das belegen, was passiert ist, und einmal über das, was ich - was Marcy und ich -
uns zusammenreimten. Wir belegen uns selbst. Wären Sie nicht gewesen, glaube ich, daß wir die Lüge über diese Sache -
den Vorfall auf der Autobahn - bis zum Ende unseres Lebens aufrecht erhalten hätten.«
»Sprechen Sie von dem kleinen Mädchen? Von LeBays Tochter?« Ich krampfte die Finger um den Hörer.
»Ja«, sagte er schwerfällig. »Rita.«
»Was ist denn wirklich passiert, als sie erstickte?«
»Meine Mutter nannte Rollie immer ihren Wechselbalg«, sagte LeBay. »Hab’ ich Ihnen das schon erzählt?«
»Nein.«
»Nein, natürlich nicht. Ich sagte Ihnen, daß ich es für besser hielte, wenn Ihr Freund sich von dem Wagen befreite, aber man kann als Mensch nur das zur Verteidigung seiner Ansichten anführen, was glaubhaft und vernünftig klingt. Sobald sich das Irrationale… einschleicht…«
Er hielt inne. Ich drängte ihn nicht. Entweder er würde den Mund aufmachen oder nicht. So einfach war das.
»Meine Mutter sagte, er wäre in den ersten sechs Monaten ein völlig normales Baby gewesen. Und dann… sie sagte, das habe sich geändert, als Puck kam. Sie
Weitere Kostenlose Bücher