Dokument1
so prall gefüllt wie an jenem Tag, als Repperton sein Messer zog. Das einzig Gute, was ich diesem traurigen Punktestand abzugewinnen vermochte, war die Tatsache, daß wir nun so weit hinter den
»Bären« von Ridge Rock lagen (ihr Konto war 5-0-1), daß wir bei der Vergabe der Meisterschaft nur noch in Betracht kamen, falls der Mannschaftsbus der Bären in eine Schlucht fiel.
Wir saßen in der milden Oktobersonne - die Zeit der Hallo-ween-Umzüge von Haus zu Haus, für die sich die Kinder mit Bettlaken und Hexen-und-Teufels-Masken verkleideten, war nicht mehr weit -, kauten mit vollen Backen und sagten nicht viel. Arnie hatte ein Solei, das er gegen eines meiner Braten-Sandwiches tauschte. Ich glaube, Eltern wissen sehr wenig von dem Leben ihrer Kinder, das sie fern von zu Hause führen.
Jeden Montag, seit Arnie zur Schule ging, packte Regina Cunningham ihrem Sohn ein Solei ein, und jedesmal, wenn es bei uns zum Abendbrot Braten gegeben hatte, fand ich am nächsten Tag ein entsprechend belegtes Sandwich in der Lunch-Tüte. Ich mag keinen kalten Braten, und Arnie mag keine Soleier. Ich habe mich oft gefragt, was unsere Mütter wohl sagten, wenn sie wüßten, daß nur ein verschwindend geringer Prozentsatz von den vielen hundert Soleiern und von den vielen Dutzend Braten-Sandwiches, die sie so liebevoll in Lunchtüten verpacken, tatsächlich von jenem verzehrt werden, dem sie zugedacht sind.
Ich war inzwischen bei meinen Plätzchen angelangt, Arnie bei seinen getrockneten Feigen. Er sah zu mir hinüber, um sich zu vergewissern, daß ich ihn beobachtete, und steckte sich dann das ganze Paket gepreßter Feigen auf einmal in den Mund. Mit seinen dicken Backen sah er aus wie ein Posaunen-engel.
»Oh, was bist du für ‘ne Kuh!« rief ich.
»Ung-ang-fu-ang«, antwortete Arnie mit vollem Mund.
Ich stieß mit den Fingerspitzen in seine Rippen, wo er besonders kitzlig war. Dabei rief ich: »Ich hab’ ein paar Nüsse und Negerküsse zum Tauschen, Arnie. Willst du sie?«
Arnie prustete los und bespuckte mich mit brauner zäher Feigenmasse. Ihnen mag das alles höchst albern vorkommen, aber wir hatten unseren Spaß daran.
»Hör auf damit, Dennis«, sagte Arnie, den Mund immer noch voller Feigen.
»Was sagst du? Ich kann dich nicht verstehen, du Barbar«, erwiderte ich und fuhr fort, ihn in die Seiten zu pieksen, ein Spiel, das wir schon als kleine Kinder getrieben hatten (es fiel mir erst jetzt wieder ein, war zugeschüttet vom Flugsand der Zeit, wir hatten das Spiel damals »Hüftnüsse« genannt), und er kam aus dem Lachen nicht mehr heraus.
Er mußte den Feigenbrei in seinem Mund auf einmal hinun-terschlucken, und dann rülpste er.
»Du hast ein unmögliches Betragen, Cunningham«, tadelte ich ihn.
»Ich weiß.« Nach seinem Feixen zu urteilen, mußte ihm dieses unmögliche Betragen sogar gefallen haben. Diese Feigen-Nummer hatte ich noch nie gesehen. Hätte er sie vor seinen Eltern am Mittagstisch abgezogen, hätte Regina vermutlich eine Zwischenblutung bekommen und sein Vater einen Gehirnschlag.
»Wieviel Feigen auf einmal sind dein Rekord?« fragte ich ihn.
»Zwölf Feigen, anderthalb Pakete«, erwiderte er. »Aber dabei wäre ich fast erstickt.«
Ich lachte schnaubend: »Hast du Leigh diesen Trick auch schon vorgeführt?«
»Ich spare ihn auf bis/zur Abschlußfeier«, erwiderte er, »und dann werde ich ihr auch ein paar Hüftnüsse geben.« Wir lachten wieder, und dabei wurde mir bewußt, wie sehr ich Arnie zuweilen vermißte - nicht, daß ich mich einsam gefühlt hätte; ich hatte die Footballmannschaft, den Schülerausschuß und eine neue Freundin, die ich (hoffentlich) noch bis zum Ende der Freilichtkino-Saison so weit herumbekam, daß sie es bei mir wenigstens mit der Hand tat. Daß daraus noch mehr werden konnte, war ziemlich unwahrscheinlich. Sie war ein bißchen zu sehr von sich selbst eingenommen. Dennoch machte es Spaß auszuprobieren, wie weit ich bei ihr kam.
Trotz dieser Aktivitäten hatte ich Arnie vermißt. Zuerst war es Christine gewesen, und nun waren es Leigh und Christine.
In dieser Reihenfolge, wie ich hoffte.
»Ich vermisse Leigh. Wo steckt sie denn?« fragte ich.
»Sie ist krank«, sagte er. »Sie hat ihre Periode, und das scheint bei ihr eine schmerzhafte Angelegenheit zu sein.«
Ich schraubte im Geist meine Augenbrauen in die Höhe.
Wenn sie bereits ihre weiblichen Probleme mit ihm diskutierte, hatte er es bei ihr offensichtlich schon ziemlich weit gebracht.
»Wie bist du
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