Dolch und Münze (01): Das Drachenschwert (German Edition)
auf, brachte eine Pfanne mit Wasser und eingestreuten Blättern zum Kochen und sah nach ihrem Patienten. Als Cithrin sich zu ihr gesellte, machte das Maultier unter ihrer Hand einen kühleren Eindruck, die Augen wirkten klarer, sein Kopf war eher auf die übliche Weise geneigt. Im Verschlag nebenan räusperte sich das andere Maultier und brummte.
»Wird sie auch krank?«, fragte Cithrin. Allein schon die Vorstellung brachte sie fast zum Weinen.
»Vielleicht, aber bis jetzt noch nicht«, sagte Opal. »Wahrscheinlich ist sie nur eifersüchtig, weil der alte Junge hier die ganze Aufmerksamkeit bekommt.«
»Dann sollten wir aufbrechen? Ich meine, ist es sicher, zurück zur Karawane zu gehen?«
»Heute Nachmittag vielleicht«, sagte Opal. »Wir lassen ihn besser wieder Kraft gewinnen. Mit nur einem halben Tag Arbeit am Anfang.«
»Aber …«
»Wir sind hier nicht zum ersten Mal. Wir werden sie einholen, ehe sie über den Pass gehen. Sie werden in Bellin anhalten und Kundschafter vorschicken.«
Cithrin kannte den Namen, aber sie konnte ihn nicht einordnen.
Opal warf ihr einen Blick zu. »Bellin«, sagte sie. »Handelsstadt gleich unter dem Pass. Du weißt wirklich nichts über das Karawanenwesen, was?«
»Nein«, erwiderte Cithrin, sowohl trotzig als auch beschämt darüber, dass sie trotzig war.
»Bellin ist nichts Besonderes, aber sie sind Reisenden wohlgesinnt. Meister Kit hat uns einmal einen Monat lang hingebracht. Alle paar Tage neue Leute, die auf der Straße vorbeikommen, niemand bleibt lange. Es war, als wäre man in einer fahrenden Truppe, ohne zu fahren.«
Ein kalter Windhauch fuhr in das Stroh. In der Kohlenpfanne glühten die Kohlen auf, und die kleine Flamme tanzte. Was wohl eine Wachmannschaft einen Monat lang mit durchreisenden Händlern, Kaufleuten und Missionaren zu schaffen hatte? Ihnen Schutz innerhalb der Stadtmauern bieten, wo sie ihn am wenigsten benötigten?
»Ich sollte gehen«, sagte Cithrin. »Mich um … um den Karren kümmern.«
»Schau nach, ob er noch an Ort und Stelle ist«, sagte Opal, als würde sie ihr beipflichten.
Es war tatsächlich besser, nur mit Opal unterwegs zu sein, als bei der ganzen Karawane. Da sie nur eine Person im Auge behalten musste, konnte Cithrin Augenblicke finden, in denen sie ihre Wachsamkeit lockern und sie selbst sein konnte, und nicht Tak. Als es an der Zeit war und sie die Maultiere anschirrten, unterschied es sich nicht groß davon, ganz allein zu sein. Opal bestritt den Großteil der Unterhaltung, und die bestand hauptsächlich daraus, wie man das Gespann führte. Cithrin wusste, dass Tak von diesen Vorträgen gelangweilt hätte sein sollen, aber sie saugte alles auf. Am ersten halben Tag lernte sie hundert Dinge, die sie falsch gemacht hatte. Als sie sich in dieser Nacht ein Lager auf einer Wiese neben der Straße zurechtmachten, war sie bereits ein besserer Fuhrjunge als in all den langen Wochen seit Vanai.
Sie wollte der Wächterin für das danken, was sie getan hatte, aber sie hatte Angst, dass sie nicht mehr aufhören würde, wenn sie erst einmal anfing. Aus Dankbarkeit würde Freundschaft werden und aus Freundschaft ein Geständnis, und dann wären ihre Geheimnisse ausgeplaudert. Also sorgte sie stattdessen dafür, dass Opal das beste Essen und den weicheren Schlafplatz bekam.
In der Dunkelheit lagen sie beide auf der weichen Wolle. Der Mond und die Sterne waren fort, von Wolken verhüllt, und die Dunkelheit war vollkommen. Cithrins Gedanken jagten und wanden sich, ausgemergelt von geistiger Erschöpfung. Und dennoch kam der Schlaf nur langsam. Mitten in der Nacht spürte sie, wie Opals Körper sich an ihren presste, und wachte panisch auf, voller Furcht, die Wächterin würde sie angreifen oder verführen wollen oder beides, aber ihr war nur im Halbschlaf kalt geworden. Sie verbrachte den Rest der Nacht damit, sich von Opals Körperwärme angezogen zu fühlen und zu versuchen, sich davon fernzuhalten, weil sie fürchtete, ihre Verkleidung würde durchschaut werden.
In der Dunkelheit schienen die Wochen zwischen ihr und Carse ewig. Sie bildete sich ein, die Fässer und Kisten spüren zu können, die gleich unter ihr versteckt waren. Die Bücher und Register, die Seide, die Tabakblätter und die Gewürze. Edelsteine und Schmuck. Das Gewicht der Verantwortung und ihre Furcht wirkten, als würde ihr jemand auf die Brust drücken. Als sie kurz vor der Morgendämmerung endlich tief genug schlief, um zu träumen, fand sie sich am Rande einer
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