Dolch und Münze (01): Das Drachenschwert (German Edition)
wie sich dieses Wissen in die Seele des Mädchens ätzte, aber er hatte im Augenblick keine Zeit, das in Ordnung zu bringen, und auch keine Vorstellung, wie er es tun sollte.
»Meister Kit?«, fragte Cary nachdenklich. »Was ist mit der Festszene in Andricors Narretei?«
»Das meinst du doch nicht ernst«, sagte er.
»Ich denke doch«, erwiderte Cary. Sie wandte sich an Yardem. »Kannst du einen allein tragen? Über der Schulter?«
Der Tralgu verschränkte die Arme, runzelte streng die Stirn, nickte jedoch. Meister Kits Gesicht war immer noch bleich, aber er erhob sich und stellte den Handkarren wieder auf, während er darüber nachdachte. Carys Gesicht war im Gegensatz dazu leuchtend rot.
»Yardem nimmt einen«, sagte sie. »Smit und Horniss können den Kleinen dort nehmen. Sandr und Cithrin den armen Kerl mit dem Bart. Damit kommen zwei auf den Handkarren. Mikel kann sie festhalten, und Ihr und der Hauptmann zieht. Dann nehmen Opal und ich Fackeln und …«
»Nicht Opal«, unterbrach Meister Kit. »Sie bleibt bei uns.«
»Dann nehme ich Cithrin«, sagte Cary, die kaum Luft holte. »Opal kann Sandr helfen.«
»Wohin genau nimmst du Cithrin mit?«, fragte Marcus.
»Um sicherzugehen, dass sich niemand nach Euch umdreht«, sagte Cary, und sie trat hinüber zum Bett, um sich neben Cithrins zerbrechlicher Gestalt niederzulassen. Die dunkelhaarige Frau legte Cithrin einen Arm um die Schultern und lächelte sie sanft an. »Komm, meine Schwester. Bist du bereit, mutig zu sein?«
Cithrin blinzelte Tränen fort.
»Kit?«, fragte Marcus.
»Andricors Narretei. Es ist eine Komödie von einem Dichter aus Cabral«, sagte Meister Kit. »Der Fürst der Stadt stirbt in einem Hurenhaus, und sie müssen seinen Körper zurück ins Bett seiner Frau schmuggeln, ehe sie erwacht.«
»Und das erreichen sie wie?«
»Es ist eine Komödie«, sagte Meister Kit mit einem Schulterzucken. »Helft mir mit diesem Karren, ja?«
Es gab keine Fackeln, aber zwei kleine Zinnlaternen aus dem hinteren Zimmer waren fast genauso gut. Mit ein paar Nadeln und unter Carys Anleitung hatten sie ihre Kleider im Rockteil gekürzt, und an Hals und Rücken standen sie halb offen. Ihr Haar hing in losen Locken herab und drohte jeden Moment ganz aufzugehen, wie die zerstörten Überbleibsel eines respektableren Arrangements. Cary färbte Cithrin die Lippen rot, und auch die Wangen und den Brustansatz, und in der Dunkelheit der Nacht schien das Paar eine Skulptur aus Sonnenlicht und Anrüchigkeit zu sein.
»Zählt bis dreihundert«, empfahl Meister Kit Cary. »Dann kommt nach. Wenn ich das Zeichen gebe …«
»Fangen wir an zu singen«, sagte Cary und dann zu Cithrin: »Schultern zurück, meine Schwester. Wir sind hier, um gesehen zu werden.«
»Yardem?«, fragte Marcus, als der Tralgu den Toten packte.
»Herr?«
»Der Tag, an dem du mich in den Graben wirfst und den Trupp übernimmst?«
»Ich bin der Trupp, Herr.«
»Punkt für dich.«
Sie glitten in die Dunkelheit hinaus. Die Kälte war bitter, und Marcus’ Atem trieb als Nebel vor ihm her. Die Pflastersteine schienen aus Eis zu sein, und der Geruch des Todes drang vom Karren, schwer und kupfrig und so vertraut wie sein eigener Name. Neben ihm zog Meister Kit, und der Atem des Mannes ging bald schnell wie ein Hecheln. Die Lebenden trugen die Toten durch die schwarzen Straßen, geleitet von Sternenlicht und Erinnerung. Trocknendes Blut klebte an Marcus’ Seite, zupfte bei jedem Schritt an seinen Wunden. Er drängte vorwärts. Es schien wie eine langsame Ewigkeit, der Schmerz in seinen Fingern wich Taubheit und dann wieder Schmerz. Hinter sich hörte er plötzlich Cary ein derbes Lied anstimmen und dann, wie eine Schilfflöte, die im Einklang mit einer Trompete spielt, Cithrins Stimme einfallen. Er blickte über die Schulter. Eine Häuserecke hinter ihnen, die Laternen hoch erhoben, standen zwei spärlich bekleidete Frauen einer Patrouille der Königinnengarde gegenüber. Marcus hielt an, und der Handkarren wurde langsamer, sobald er nicht mehr die Führung übernahm.
»Hauptmann«, flüsterte Meister Kit eindringlich.
»Das ist töricht«, schimpfte Marcus. »Das ist nicht Eure Komödie, und diese Straße ist keine Bühne. Das sind Männer mit Schwertern und Macht. Frauen vor sie zu stellen und aufs Beste zu hoffen ist …«
»Was wir getan haben, Hauptmann«, sagte Meister Kit. »Es ist, was wir getan haben, und es ist notwendig. Ihr solltet jetzt den Karren weiterziehen.«
Im Licht der
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