Dolch und Münze (02): Königsblut (German Edition)
seiner Magengrube regte sich etwas, und er brauchte einen Augenblick, um zu erkennen, dass es Angst war.
»Vor ungefähr einem Monat habe ich eine Silbermünze auf der Straße vor dem Kontor gefunden.«
»Nein.«
»Sie war aus Kupfer.«
»Ah. Ja. So war es.«
Marcus atmete aus. »Das ist ein guter Trick«, sagte er. »Mir ist klar, wie jemand verführt sein könnte, ihn einzusetzen.«
»Ich glaube nicht, dass es das Schlimmste ist, was ich tun kann. Ich beobachte, dass die Spinnen es unmöglich machen können, mir keinen Glauben zu schenken. Mit Zeit und Wiederholung kann ich jeden alles glauben lassen. Wie lächerlich, absurd oder gefährlich es auch ist. Wenn es in meinem Interesse wäre, könnte ich Euch davon überzeugen, dass Ihr ein Gott seid. Oder dass Eure Familie noch lebt, sich aber vor Euch versteckt. Selbst wenn Ihr es besser wüsstet, selbst wenn Euer Verstand es besser wüsste, Euer Herz würde Euch dorthin führen, wo immer ich es hingeschickt habe. Ich kann das tun, und sie können es auch.«
»Und sie sind in Antea?«
»Und sehr dicht am Thron.«
Marcus saß einen Augenblick da und dachte darüber nach. Die Verderbtheit von Königen und Prinzen war nichts Neues. Der Kundige mit der verdrehten Gesinnung war eine Standardfigur in tausend Liedern. Und dennoch ließ etwas an der kleinen Spinne, die aus Kits Haut ans Licht der Welt gekrochen war, Marcus schaudern.
»Was wollen sie?«
Kit betrachtete seinen Daumen. Die Wunde hatte sich bereits geschlossen, und weder Blut noch Spinnen sickerten aus seinem Körper. Seine Stimme klang nachdenklich. »Als ich noch dort gewesen bin, hat man mir beigebracht, dass die Göttin die Gerechtigkeit zurück in die Welt bringen würde. Wir sollten daran glauben und auf den Tag warten, an dem sie uns ein Zeichen sandte. Einen Anführer, dessen Rechtschaffene Diener wir sein würden, und durch ihn würde die Göttin die Welt von den Lügen befreien.«
»Das ist etwas Schlimmes?«
»Vermutlich, ja, aber ich habe auch festgestellt, dass es vielleicht gar nicht wahr ist«, sagte Kit mit einem Lächeln. »Als ich gegangen bin, war ich noch ein sehr niederer Priester. Viele der unwichtigen, kleinen Aufgaben sind mir zugefallen. Eine davon war, dafür zu sorgen, dass die Tempel gefegt wurden. Eigentlich habe nicht ich gefegt. Es gab einen alten Mann, der das getan hat. Ich erinnere mich inzwischen nicht einmal mehr an seinen Namen. Aber eines Tages habe ich ihn gefragt, ob er gefegt hatte, und er sagte ja. Er hätte es getan. Und er sagte die Wahrheit. Versteht Ihr? Ich habe es in meinem Blut gespürt, genauso wie bei Euch. Nur dass er verwirrt war. Er hatte sich geirrt. Er hatte gedacht, er hätte es getan. Er war sich dessen gewiss . Aber er hat es nicht getan. Und so bin ich in Ungnade gefallen.«
»Wegen eines nicht gefegten Bodens?«
»Wegen des Beweises, dass sich jemand sowohl gewiss sein als auch falschliegen kann. In Gedanken fing ich an, mich mit meinem Urteil zurückzuhalten, sogar bei den Offenbarungen der Göttin. Ich kultivierte das Wort vermutlich . War der Tempel gefegt worden? Ja, vermutlich. Aber vielleicht auch nicht. Die Göttin war ewig und gerecht und immun gegen alle Lügen, vermutlich. Wir waren ihre Lieblinge und Auserwählten, vermutlich. Aber vielleicht waren wir es auch nicht. Mir ist der Unterschied zwischen Wahrheit und Gewissheit sehr bewusst geworden. Ich fing an zu zweifeln. Und sobald ich mich einmal auf diesen Pfad begeben hatte, ließ es sich nicht verbergen … Eines Tages kam der Hohepriester zu mir. Er hatte eine Lösung für meinen unglücklichen Zustand gefunden. Ich sollte zur Göttin selbst gebracht werden. Tief in den Tempel, über die geheimen Wege, in ihre geheiligte Höhle. Nur dem Hohepriester war es je erlaubt, unmittelbar mit ihr zu sprechen, aber nun sollte mir diese Ehre zuteilwerden.«
Die Tauben regten sich, als würde Kits Stimme sie beunruhigen.
»Hat Euch nicht gefallen, was Ihr von ihr erblickt habt?«
»Ich bin weggelaufen«, erwiderte Kit. »Er sagte zu mir, dass mir kein Leid geschehen würde, und ich habe ihm geglaubt. Ich wusste, dass er mich anlog, und ich habe ihm trotzdem geglaubt. Ich habe mir eingeredet, dass mir kein Leid geschehen würde. Dass sie einem der ihren nichts antun würde. Ich glaubte, dass das, was sie taten, aus Liebe zu mir geschah. Solange ich auf die Göttin vertraute, würde sie mich nicht verletzen. Und dann, wie ein Reflex meines Verstandes, dachte ich, vermutlich .
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