Dolch und Münze (02): Königsblut (German Edition)
gut behaupten, dass der Schnee kommt, und dann sagen, dass jeder Winter bewiesen hat, dass du recht hast.«
»Genauso wäre es«, erwiderte Smit. »Und außerdem kommt ein Sturm.«
Cary wandte sich um und fing Cithrins Blick auf. Sie lächelten einander an. Dies war Carys Familie, und sie liebte sie. Cithrin liebte sie auch, obwohl es nicht die ihre war. Sie waren Freunde, einige davon sehr enge, aber ihre Heimat war nicht auf dem Fuhrwerk oder auf der Bühne oder bei Nacht in einem Heuschober über einem frisch errichteten Stall. Ihre Heimat war im Kontor und im Kaffeehaus.
»In Ordnung«, sagte Horniss. »Lass mich das schnell ein bisschen vernähen, und du hast ein einfaches, schönes Reisegewand, perfekt für jede Gelegenheit, auch für Schlamm, Maultiere und Übermut. Und ich habe hier eine kleine Tasche eingefügt, in der du ein Messer verstecken kannst, falls der Karawanenmeister sich deine Tugend zum Ziel erkoren hat.«
»Ich werde keinen Karawanenmeister fürchten«, sagte Cithrin mit verstellter Stimme, einer Parodie auf die Schauspielkunst. Ihre Verbeugung war übertrieben und passte vermutlich nicht dazu. »Mein ewiger Dank ist euch sicher.«
Horniss erwiderte die Geste gleichermaßen, auf vollkommene Weise, und sie lachten beide.
Cithrin kannte die Regel vom ersten Mal, als sie mit der Truppe unterwegs gewesen war, damals, als sie noch Meister Kit angeführt hatte: Laufe gegen den Strom. In einer Stadt, die von einer Seuche heimgesucht wird, spiele eine Komödie. In einer reichen Stadt in Zeiten des Überflusses, spiele eine Tragödie. Die Macht der Geschichten, die sie erzählten, lag im Abstand, der sie von den Leuten trennte, die im Publikum standen. Heute Abend führten sie Die Geschichte des Hundefängers auf, eine so niveaulose und raue Farce, wie Cithrin ihr selten begegnet war. Sie machten es gut. Wie Sandr seine Einsätze anbrachte, war, wie sie leider zugeben musste, von einer gewissen Genialität. Aber ihre Aufmerksamkeit lag nicht auf der Bühne, sondern auf den Männern und Frauen, die das Geschehen verfolgten.
Als Smit mit dem riesigen ledernen Phallus auf die Bühne sprang, der aus seinem Kostüm hervorragte, brüllte die Menge und zeigte mit dem Finger darauf. Tränen liefen ihnen die Wangen hinab. Nach so etwas hatten sie gehungert, dachte Cithrin. Sie sehnten sich nach Vergnügen, Freude, Gelächter. Und das war nur natürlich, denn sie hatten sich einer Verschwörung ihres Nachbarreiches gegenübergesehen, dem Tod ihres Königs, dem Krieg und nun einer grausamen Schlacht in den eigenen Straßen. Sie hatten sich ihre Wunschvorstellungen verdient.
Sie konnte nicht wegschauen. Ein Junge, der kaum alt genug war, sich zu rasieren, lachte so sehr, dass er sich auf den Pflastersteinen herumrollte. Auf der Bühne gab Charlit Sun vor, ein Kundiger zu sein, der sich das Aussehen einer Frau verliehen hatte und dann von einem anderen Mann umworben wurde, und eine zahnlose Frau, die uralt wirkte, klatschte sich auf die Knie und brüllte. Es war zu viel. Das Gelächter grenzte ans Groteske. Cithrin saß am Rande der Menge, hatte die Bühne und das Publikum gleichermaßen im Blick.
Es herrschte keinerlei Siegesgefühl. Damals, als sie hergekommen war, war es anders gewesen: Fahnen und Stoffbänder, Kinder, die durch die Straßen liefen und leuchtend bunte Papierschnipsel warfen. Als Antea Asterilreich einge nommen hatte, war das Reich im trunkenen Freudentaumel gewesen. Der Untergang von Dawson Kalliam barg für sie keine Freude. Diese Ausgelassenheit war keine Maske. Es war eine Seite einer Münze, und Cithrin hatte den zunehmenden Verdacht, dass das Bild auf der anderen Seite der Münze eine Trostlosigkeit war, die Camnipol lange nicht würde abschütteln können. Am Rande des Spalts würden für eine lange Zeit Komödien gespielt werden. Diese Aussicht ließ ein Gefühl des Entsetzens und der Furcht in ihr aufsteigen, das sie stärker traf, als ihr lieb war.
Cary kam auf der Bühne nach vorn, und das Bühnenschwert, das sie hielt, wurde während ihrer Herausforderung zum Duell in ihrer Hand schlaff und weich. Die Menge lachte, und Cithrin lachte nicht. Sie richtete sich auf und ging am Rand der Menge entlang in den Schankraum des Gelben Hauses.
Drinnen war der Andrang genauso schlimm wie draußen, aber die Hitze war schlimmer. Hochsommer in Camnipol bedeutete, dass der Sonnenuntergang beinahe bis zum Anbruch der frühen Morgendämmerung andauerte. Dass es nun dunkel war, hieß, dass es
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