Dolch und Münze (02): Königsblut (German Edition)
gepackt hatte, während der Hauptmann ihr gnädigerweise ein wenig Zeit gelassen hatte. Das stand nicht in seinem Befehl. Hätte er sie auf die Schulter geladen und auf die Straße geworfen, hätte er damit Palliakos Rechtsprechung noch buchstabengetreu erfüllt. Er hatte es nicht getan, und dafür war sie ihm dankbar.
»Das können sie nicht tun«, sagte Jorey. Seine Stimme war angespannt wie eine Geigensaite. Er verspannte sich immer, wenn er wütend war.
»Natürlich können sie«, erwiderte Clara. »Du hast doch nicht geglaubt, sie würden uns so weiterleben lassen wie bisher, oder? Wir sind in Ungnade gefallen.«
»Du hast nichts falsch gemacht.«
Doch, das habe ich , dachte sie. Ich habe deinen Vater geliebt. Und das ist ein Verrat, auf den ich weiterhin bestehe. Sie sprach es nicht aus. Sie nahm nur ihren jüngsten Sohn an der Hand und führte ihn weg.
Die Hausangestellten, Dienerschaft und Sklaven, standen an der Straße, ihre persönlichen Besitztümer in den Händen. Sie wirkten wie Überlebende eines Weltuntergangs. Clara ging zu ihnen, zum letzten Mal als ihre Herrin. Um den Hals von Andrash lag immer noch die Kette; seine Augen waren vor Schrecken weit aufgerissen.
Clara hob die Hände. »Ich fürchte, dass die Bedürfnisse des Hauses, wie ihr bestimmt erkannt habt, sich gewissermaßen reduziert haben«, sagte sie. In ihren Augen standen Tränen, und sie biss die Zähne zusammen, um dagegen anzukämpfen.
Heb dein Kinn , sagte sie sich. Lächle. Siehst du, genau so.
»Wer von euch ein Haussklave gewesen ist, den entlasse ich aus seinem Vertrag. Ich hoffe, die Freiheit ist mindestens so gut zu euch, wie es eure Gefangenschaft gewesen ist. Wer von euch ein bezahlter Diener war, dem kann ich Empfehlungsschreiben anbieten, aber ich fürchte, sie haben vielleicht nicht sonderlich viel Einfluss.«
Weit hinten schluchzte jemand. Eine der Küchenmägde, wie Clara dachte.
»Habt keine Angst«, fuhr Clara fort. »Ihr werdet alle einen neuen Platz in der Welt finden. Das hier ist unerfreulich. Sogar schmerzhaft. Aber es ist nicht das Ende. Für keinen von uns. Euch allen vielen, vielen Dank für die Arbeit, die ihr hier verrichtet habt. Ich bin sehr stolz, dass so wunderbare Menschen für mich gearbeitet haben, und ich werde euch alle in bester Erinnerung behalten.«
Es dauerte fast eine Stunde, zu allen zu gehen und von einem nach dem anderen Abschied zu nehmen. Vor allem gegen Ende wollten sie sie immer wieder umarmen und ihr schwören, dass sie ihr stets treu ergeben bleiben würden. Es war herzerwärmend, und sie hoffte, dass zumindest ein Teil davon der Wahrheit entsprach. Sie würde in den kommenden Tagen jeden Verbündeten brauchen. Sie befand sich nicht in der Position, sich von einem drittklassigen Diener abwenden zu können, wenn er ihr wohlgesinnt war.
Jorey schlang sich ihren Beutel um die Schulter und nahm ihren Arm. Zusammen gingen sie durch die Straßen. An einer Ecke hielt sie an einem Stand und kaufte kandierte Veilchen bei einem alten Tralgu, dem ein Fuß fehlte. Die Blütenblätter wurden auf ihrer Zunge weich, sobald der Zucker sich auflöste. Sie hielt sich Richtung Süden, auf die Silberbrücke zu. Lord Skestinins Haus war auf der gegenüberliegenden Seite des Spalts, und Sabiha, gesegnet sei das Mädchen, war vorausgegangen, um dafür zu sorgen, dass man sie willkommen hieß.
»Ich denke, man muss daraus folgern, dass man deinen Vater bald zur Rechenschaft ziehen wird«, sagte sie. »Das wird nicht einfach.«
»Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, Mutter«, erwiderte er. »Ich werde keine Schande über ihn bringen. Er wird nicht allein dastehen müssen.«
Sie hielt inne. Jorey ging noch ein paar Schritte weiter, ehe ihm auffiel, dass sie angehalten hatte.
»Du wirst Schande über ihn bringen«, entgegnete sie. »Du wirst ihm abschwören und ihn verleugnen. Verstehst du mich? Du wirst ihm den Rücken zuwenden und dir von der ganzen Welt dabei zusehen lassen.«
»Nein, Mutter.«
Sie hob die Hand und gebot ihm zu schweigen. »Das hier ist keine Debatte in einem Salon. Respekt gegenüber den Eltern ist schön und gut, aber in diesen Zeiten leben wir nicht. Du hast Verpflichtungen. Gegenüber Sabiha und gegenüber mir.«
Inzwischen weinte er auch, und das auf der Straße. Nun, wenn sie sich schon zum öffentlichen Spektakel machten, dann war, wie sie annahm, heute der richtige Tag dafür. Ein Karren ratterte an ihnen vorbei, und sie legte ihm eine Hand auf den Arm.
»Dein
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