Dolch und Münze (02): Königsblut (German Edition)
Nun, da er es eine Weile auf diese Weise getragen hatte, gewöhnte man sich daran.
»Ihr seid immer sehr freundlich zu mir gewesen, Lady Kalliam«, erklärte Issandrian. »Selbst dann, als Euer Gemahl auf meinen Tod gehofft hat. Ich habe nicht mehr viel Einfluss, aber der, den ich noch besitze, gehört Euch.«
»Ich danke Euch«, sagte Clara.
Nach diesem Anfang war der Rest einfach, oder wenn schon nicht einfach, dann zumindest unvermeidlich. Wenn sie bei Curtin Issandrian betteln konnte, war es doch sicher nicht schwer, sich an ihren Vetter Erryn Meer zu wenden. Oder an die Frau, von der sie sich in der Stickkunst hatte unterweisen lassen, und an die Poesie-Gruppe, die Lady Emming eingerichtet hatte, und so weiter durch die ganze Stadt und den ganzen Hof und ihren ganzen Tag.
Diese kleinen, inoffiziellen Audienzen waren ihr nicht fremd, aber bisher war sie immer auf der anderen Seite gewesen. Hatte Mitgefühl und Gebäck angeboten und Unterstützung, ohne etwas zu versprechen. Die äußere Form war ihr vertraut. Die einzige Veränderung war die Rolle, die sie spielte … und das, was auf dem Spiel stand.
Elisia hatte zum Glück den Namen Kalliam bereits abgelegt. Da sie am Busen von Annerin sicher war, konnte sie sich noch bei Hofe zeigen, und ihre Stellung war gesichert. Vicarian war weniger sicher, hatte es aber immer noch besser, als es hätte sein können. Er war während der Unruhen nicht in Camnipol gewesen. Er hatte nicht im Feld gedient. Seine Treue galt Gott und der Priesterschaft des Königreichs. Er würde Dawson verleugnen müssen, aber solange er das tat, sollte er sicher sein.
Für Barriath und Jorey war die Gefahr am größten, und daher konzentrierte sie ihre Arbeit auf diese beiden, suchte hartnäckig jeden auf, den sie kannte, jeden, der ihr einfiel, von dem sie sich noch gesellschaftliche Akzeptanz erhoffen konnte. Jeden, dem sie früher bekannt gewesen war. Nun setzte sie all jene vergangenen Augenblicke der Gnade und nicht zwingend nötigen Freundlichkeit als Werkzeug ein. Und wie jedes Werkzeug, das man zum ersten Mal benutzte, funktionierte es manchmal so, wie sie es erwartet hatte. Andere Male war die Belastung zu hoch, und es ging daneben. Sie würde vielleicht nie erfahren, in welchen Fällen es misslang. Noch spielte es eine Rolle, solange ihre Kinder in Sicherheit waren.
Sie hörte auf, als die Abendmahlzeiten begannen und sie nicht mehr auf höfliche Weise uneingeladen eindringen konnte, und suchte sich eine kleine Bäckerei, in der Brötchen von gestern mit Würsten, schwarzem Senf und Bier verkauft wurden. Sie griff abermals nach ihrer Pfeife, steckte sie weg und fluchte lautlos. Sie würde eine Möglichkeit finden müssen, sich ein klein wenig Tabak leisten zu können. Und darüber hinaus auch ein wenig zu essen. Und was immer für eine Zuflucht sie sich schaffen konnte, nachdem Lord Skestinins Gastfreundschaft ihr unvermeidliches Ende erreichte. Man nahm die Frau eines Verräters nicht unbegrenzt auf. Sollte Barriath Befehlshaber der Flotte werden oder Jorey im Feld einen Krieg gewinnen, könnte sie sich vielleicht als Mutter eines respektablen Mannes neu erfinden. Aber in der Zukunft, die sie sich vorstellen konnte, war sie dazu verdammt, die Frau ihres Gemahls zu sein.
In den paar Minuten, während sie in der kleinen Bude mit ihren splitternden Holztischen und wackligen Stühlen saß, ließ sie zu, dass sie aufhörte zu lächeln. Inzwischen war sie erschöpft und fühlte sich auf eine Art und Weise leer, wie sie es sich nie hätte vorstellen können. Ihre Ehe, ihre Familie, die kleinen, friedfertigen Hofintrigen und Dawson mit seiner altertümlichen Liebe zur Pflicht – das war ihr Leben gewesen, seit sie das Haus ihrer eigenen Mutter verlassen hatte. Sie hatte dieses Leben nicht aufgebaut, sondern war vielmehr hineingewachsen.
Nun fühlte sie sich wie eine Zierpflanze, die man umsichtig ausgegraben und mit Wasser abgewaschen hatte. Sie war eigentlich nicht verletzt, aber ihre blassen Wurzeln lagen alle offen da. Wenn sie keinen Erdboden mehr finden konnte, würde das ausreichen, um sie umzubringen. Das wusste sie, genauso wie sie wusste, dass die Sonne aufgehen und der Herbst kommen würde.
Und im Mittelpunkt all dessen stand die machtvolle Abwesenheit von Dawson Kalliam. Dem Mann, dessen Liebe zu ihr größer gewesen war als sein Verständnis für sie. Die Konstante ihres Lebens. Sie konnte sich immer noch daran erinnern, wie er am ersten Abend ausgesehen hatte, an dem
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