Dolch und Münze (02): Königsblut (German Edition)
Carse bringen.«
D AWSON
DIE BEGRÄBNISZEREMONIE BEGANN AUF der Königshöhe. Simeon, der König des imperialen Antea, lag auf Blumen gebettet, rot, golden und orangefarben wie ein Scheiterhaufen, der den Toten nicht verzehren konnte. Er trug eine vergoldete Rüstung, die das Sonnenlicht einfing, und seine reglosen Züge waren dem Himmel zugewandt. All die großen Familien waren da: Estinfurt, Bannien, Faskellan, Brut, Veren, Caot, Palliako, Skestinin, Daskellin und noch weitere, Dutzende weitere, all jene, die Dawsons altem Freund vor so vielen Jahren die Treue geschworen hatten. Sie trugen Trauerkleidung und bedeckten ihre Köpfe mit Schleiern. Obwohl der Himmel wolkenlos war, roch die Brise, die an seinen Ärmeln zupfte und den Gesang des Priesters übertönte, nach Regen. Dawson senkte den Kopf.
Er erinnerte sich nicht daran, wie er Simeon begegnet war. Es musste stattgefunden haben, ein eindeutiges erstes Mal, das zu weiteren Treffen geführt hatte, die wiederum dazu geführt hatten, dass zwei Jungen vom edelsten Blut Anteas zusammen die wildesten Abenteuer erlebten. Sie waren auf die Duellplätze gegangen und füreinander Sekundanten bei Fragen der Ehre gewesen, hatten Scherze und die kleinen Intrigen geteilt, aus denen lange Freundschaften erwuchsen. Die glücklichen Erinnerungen fielen ihm nun in den Rücken und rührten ihn zu Tränen. Einst hatten sie einen Hirsch in den Wäldern gejagt, hatten sich von den Hunden und Jägern entfernt, um dem Tier allein nachzueilen. Der Hirsch hatte sie durch den Garten eines kleinen Bauern geführt und die winzige Steinhütte umkreist, und sie waren ihm mit ihren Pferden gefolgt, bis sie die Reihen von Erbsen und Auberginen zu grünem Schlamm zerstampft hatten. Ihnen war es himmlisch vorgekommen. Lachhaft, ausgelassen und schön. Nun war Dawson der Einzige, der sich an das Gelächter oder den komischen Gesichtsausdruck des Bauern erinnern konnte, der herausgelaufen war, nur um seinen Kronprinzen vorzufinden, bedeckt von Schlamm und zermatschtem Gemüse.
Was vorher ein geteilter Augenblick gewesen war, war nun etwas Privates und würde es fortan auch bleiben. Selbst wenn er die Geschichte erzählte, wäre es nur eine Erzählung und nicht die Sache an sich. Der Unterschied zwischen beiden war die Kluft zwischen Leben und Tod: ein lebender Augenblick und ein begrabener.
Simeon war damals so jung gewesen. So edel und stark. Und dennoch hatte er irgendwie zu Dawson aufgeblickt. Es gibt nichts Schöneres in der Welt eines jungen Mannes, als von dem Jungen bewundert zu werden, den man selbst bewundert. Und dann hatte diese Liebe unvermeidlich ein Ende gefunden, und nun war sogar der Traum fort, sie wieder aufleben zu lassen. Einer war tot, der andere stand mit einem Schleier da, der ihm um die Nase wehte, während ein Priester, der zehn Jahre älter war als der Leichnam, murmelnd die Hände zu Gott erhob. Der Atem des Königs stand still. Sein Blut war in den Adern schwarz und fest geworden. Sein Herz, das einst Liebe und Furcht hatte erwecken können, war nun ein Stein.
Der Priester zündete die große Laterne an, und die Glocken läuteten, erst eine, dann ein Dutzend und dann Tausende. Die Messingmäuler taten kund, was jeder längst wusste. Alle Menschen sterben , sagte Simeon in Dawsons Erinnerung. Sogar Könige. Dawson trat nach vorn. Die Etikette schrieb vor, welche der Stangen aus bleichem Eschenholz er tragen sollte, vor wem er ging und hinter wem. Er war nicht so weit vorn, wie er es sich gewünscht hätte. Aber er war nahe genug, um zu sehen, wie der junge Aster an seinem Platz an der Spitze der Reihe losmarschierte.
Der Junge war kreideweiß. Er hatte die Krone in der Zeremonie unmittelbar vor dem Begräbnis angenommen, wie die Tradition es verlangte. Palliako hatte zu niemandes Überraschung die Regentschaft übernommen. Die großen Männer des Landes hatten die Knie vor dem jungen Prinzen gebeugt, der nun König war. Die geschmiedete Silberkrone saß auf Asters Kopf, als bestünde tatsächlich die Gefahr, dass sie ihm über die Ohren rutschte, aber seine Schritte waren entschlossen und selbstsicher. Er wusste, wie man sich halten musste, als wäre man schon ein erwachsener Mann, auch wenn die Wirkung nur umso deutlicher machte, dass er ein Kind war. Geder Palliako als sein Beschützer stand hinter ihm und sah um einiges weniger königlich aus als der kindliche Prinz. Die Glocken hörten gleichzeitig auf und wurden von der dumpfen Begräbnistrommel abgelöst.
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