Dolch und Münze (02): Königsblut (German Edition)
Fantasien gewesen, die ein junger Mann unverfänglich hegen konnte, ohne dass die Gefahr bestand, dass sie eines Tages wahr werden würden.
Nur dass sie jetzt natürlich doch wahr geworden waren.
Nun wachte er jeden Morgen auf, während Dutzende Diener bereits um sein Bett herumstanden. Ihm war klar, dass das alles der Zurschaustellung seiner Würde dienen sollte. Der Lordregent von Antea war kein Mann, der seine eigenen Kleider anlegte, der sich selbst das Kinn rasierte, der sich selbst die Stiefel schnürte. Er ergab sich den Händen, die ihm aus dem Bett halfen, ihm seine Nachtgewänder abnahmen und ihn einen schrecklichen Augenblick lang nackt stehen ließen, bis weitere Hände ihm frische Unterkleider überzogen. Er konnte nicht baden, ohne dass sich seine Leibdiener um ihn kümmerten. Oder vielleicht hätte er es gekonnt, aber das hätte bedeutet, ihnen zu befehlen, sich zu entfernen, und wenn er ihnen befahl, sich zu entfernen, hätte er zugegeben, dass es ihn störte, wenn sie ihn unbekleidet sahen. Und sobald er einmal zugab, dass es ihn störte, wurde jedes einzelne Mal, bei dem es bisher dazu gekommen war, im Rückblick beschämend.
Er hätte es beim allerersten Mal ablehnen sollen, aber da hatte er es nicht gewusst, und nun war es zu spät. Er war gefangen in dem, was bereits geschehen war, so dass er ertragen musste, was unvermeidbar als Nächstes kam.
Was die Vorstellung betraf, eine Frau darum zu bitten, mit ihm ins Bett zu gehen, wäre er eher gestorben. Es bestand keinerlei Zweifel, dass nicht mindestens ein Diener die ganze Zeit über diskret in Hörweite bleiben würde. Selbst wenn er gewusst hätte, wie er einer Frau das Thema nahebrachte, war der Gedanke, eine Vorstellung für den Helfer zu geben, unerträglich.
Sobald er das Schlimmste einmal hinter sich hatte, war jedoch das Frühstück stets hervorragend, und die Vormittage verbrachte er bis zum Mittagessen in seiner persönlichen Bibliothek, wo er alte Bücher las und an seinen Übersetzungen arbeitete. Oder er besuchte Aster, und sie machten sich gemeinsam über dessen Tutoren lustig. Für gewöhnlich war er sich mit der Zeit der riesigen Wolke von Dienern immer weniger bewusst, bis es beinahe schien, als hätte ihre Anwesenheit eigene Gründe, und Geder das starke Gefühl von sich weisen konnte, dass er sich auf einer Bühne befand.
Die Königshöhe selbst war von oben bis unten unglaublich. Während seiner Zeit am Hof war Geder in einigen der großen Hallen gewesen, aber nun, da er darin lebte, begann er den Ort weniger als Gebäude, sondern vielmehr als riesigen Insektenhaufen zu sehen, wie etwas, das aus den Märchen der Südlinge stammte. Die Mauern waren nur scheinbar fest. Die meisten waren von Dienerschaftsgängen und Geheimwegen durchzogen. Ein schmaler, schmuddeliger Gang mochte durch den Keller mäandern, nur um sich zu einem weitläufigen geheimen Bad mit indigoblauen Kacheln und geheiztem Wasser zu öffnen, das in einem Wasserfall herabdampfte. Überall gab es Hörlöcher – unter Bänken, in Bogengängen verborgen –, an denen man einen Lauscher abstellen konnte.
Es gab sogar eine Kammer, die wie ein riesiger Speisenaufzug angelegt war und bereitstand, um den König und seine Gäste zur Spitze des Gebäudes zu bringen, ohne dass man sich damit abmühen musste, die Treppen hinaufgetragen zu werden. Überall war die Luft parfümiert. Alle Konservatorien hielten Musikanten bereit, die auf Befehl des Königs hin spielen würden oder, in Geders Fall, auf Befehl des Regenten. Er fühlte sich durchgehend, als würde sein Leben nach der Vorstellung ablaufen, die ein anderer von ihm hatte, und das machte ihn ein wenig zaghaft. Nur dass natürlich Basrahip bei ihm war. Der Priester war eine Stütze.
»Wenig hat sich geändert, Lordregent«, sagte Lord Daskellin, während er durch die Kriegskammer schritt.
Sie war größer als ein Duellplatz, und der Boden des Raumes war mit Erde und Grassoden bedeckt, die alle so geformt und gestaltet waren, dass sie mit der Landschaft von Asterilreich und dem westlichen Antea übereinstimmten. Geders Schreibtisch stand an der Wand, wo Camnipol gewesen wäre. Der Vorsprung, auf dem die Stadt thronte, war eine kleine Stufe nach unten. Die Berge, die Asterilreich von den Trockenbrachen trennten, reichten ihm beinahe bis zu den Knien. Die nördliche Küste wurde mit winzigen blauen Glasperlen abgesteckt, die dort ausgeschüttet lagen, bis das falsche Meer auf die Mauern traf, als würde es auf
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