Dolly - 10 - Wiedersehen auf der Burg
diensteifrig zu ihr heran.
„Oh, nichts, entschuldigen Sie, ich habe nur laut gedacht.“ Dolly trat vom Fenster weg und drehte sich um. Mit zitternden Händen stellte sie das Buch ins Regal zurück und nahm ein anderes, ohne auf den Titel zu achten. Ihre Gedanken fuhren Achterbahn. Was hatte das zu bedeuten? War das Mädchen seine Freundin? Aber warum hatte er sie dann gestern angerufen und sich mit ihr verabredet? Hatte das vielleicht nur berufliche Gründe? Oder wollte er mit ihr über Felicitas sprechen? Brauchte er ganz einfach Gesellschaft, weil seine Freundin keine Zeit für ihn hatte – einen Lückenbüßer für die übrigen Stunden seines freien Nachmittags?
Ach was, sicher war er ein Frauenheld, einer von denen, die an jedem Finger zehn Mädchen hängen haben, und die sich ständig selbst beweisen müssen, daß keine ihm widerstehen kann! Na warte! dachte Dolly. Dir werde ich’s zeigen!
„Darf es dieses Buch sein?“ fragte der Buchhändler. Dolly nickte stumm. Sie hatte keine Ahnung, was sie da in der Hand hielt.
„Macht achtzehnfünfzig“, sagte der Buchhändler. „Soll ich es als Geschenk verpacken?“
„Nein, danke, ich stecke es so ein.“
Dolly bezahlte und ging zur Tür. Sie sah sich um. Das Paar war verschwunden, sie konnte ungesehen den Laden verlassen. Ein paar Meter weiter warf sie einen Blick auf den Titel des Buches, das sie eben gegen ihren Willen erworben hatte.
„Leises Seufzen, wehes Klagen“, stand darauf, „Liebesgedichte aus fünf Jahrhunderten“.
„Auch das noch!“ stöhnte Dolly. Das hatte ihr gerade noch gefehlt! Nun ja, sie würde es Felicitas zum Geburtstag schenken.
Unschlüssig bummelte Dolly durch die Straßen. Es war, als hätten sich plötzlich Nebelschwaden über die Sonne gelegt, alles schien von einem grauen Schleier bedeckt. Sollte sie ihn einfach sitzenlassen? Nach Hause fahren und sich in ihr Zimmer verkriechen? Nein, so einfach wollte sie es ihm nicht machen, schmoren sollte er, daß ihm Hören und Sehen verging! Was er konnte, konnte sie schon lange!
Dolly blickte in den Spiegel, der im Schaufenster des Friseurs aufgestellt war. Nein – man sah ihr den Schrecken nicht an. Der Zorn machte sie eher noch hübscher. Dolly sah auf ihre Armbanduhr. Fünf Minuten vor drei. Wie lange sollte sie ihn warten lassen? Fünf Minuten? Zehn bis fünfzehn Minuten, beschloß Dolly und betrat den Friseurladen, um in aller Ruhe einen Lippenstift auszusuchen und ein paar Parfüms zu probieren.
Zwölf Minuten nach drei schlenderte sie zur Post hinüber. Ein Hauch von teurem Parfüm umwehte sie, die Lippen glänzten korallenrot. Der zartgrüne Lidschatten paßte genau zum Farbton des Kleides.
KlausHenning Schwarze stand, einen Blumenstrauß in der Hand, vor dem Briefmarkenautomaten und trat nervös von einem Fuß auf den anderen.
„Da sind Sie ja!“ rief er erleichtert und streckte Dolly die Blumen entgegen. „Ich hatte schon Angst, unser oberster Boß hätte Ihnen den freien Nachmittag gestrichen!“
„Hallo“, sagte Dolly lächelnd, wobei sie ihre Stimme um mindestens eine Oktave tiefer rutschen ließ. „Oh, wie zauberhaft! Ich liebe diese Zusammenstellung – rosa Rosen und hellblaue Iris! Danke schön.“
„Vielleicht sollten Sie den Strauß lieber ins Auto tun, damit er nicht welk wird“, sagte KlausHenning Schwarze eifrig, um seine Verlegenheit zu verbergen. Dann zog er ein Taschentuch aus der Tasche, lief zum Brunnen hinüber, feuchtete es an und wickelte es um die Stengel.
Wenn er mit den Gefühlen seiner Angebeteten doch auch so sorgsam umginge wie mit den Blumen! dachte Dolly seufzend. Wie lieb er sein konnte! Man sollte nicht glauben, daß er ein solcher Gauner ist!
Dolly verstaute den Blumenstrauß in Richard Löwenherz’ Kofferraum und wandte sich dem jungen Lehrer zu.
„Gehen wir?“ fragte sie mit einem verführerischen Augenaufschlag und hängte sich bei ihm ein. „Ich lechze nach einem Kaffee. Außerdem habe ich leider nicht viel Zeit, um spätestens fünf Uhr muß ich zurück sein.“
„Oh, wirklich? Wie schade?“ Sein Gesicht drückte so viel Enttäuschung aus, daß man fast darauf hereinfallen konnte. „Nun, dann wollen wir die kurze Zeit wenigstens richtig genießen.“
Bis zum Strandcafé brauchten sie eine knappe halbe Stunde. Auf dem Weg plauderte und lachte Dolly, als hätte sie Champagner getrunken. Sie erzählte vom Studium, von ihren vielen neuen Freunden, von Reisen in ferne Länder, Opern, die sie besucht hatte, Ausstellungen, die sie
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