Dolly - 18 - Sag ja, Dolly!
das Landschulheim geleitet hatte. Die Mädchen waren freier, selbstbewußter geworden, alles schien sich jetzt lauter und heftiger zu vollziehen, hier wie draußen im täglichen Leben. Aber ihr Einfallsreichtum, ihre Begeisterung, gemeinsam ein solches Fest zu organisieren, ihre Hilfsbereitschaft und Kameradschaft untereinander waren die gleichen wie vor dreißig Jahren.
Helene, die erschöpft neben Franziska auf einen Stuhl sank, drückte es anders aus.
„Mon dieu, ihr versteht es wirklich, Feste zu feiern! Ich habe immer gedacht, ohne Jungen funktioniert eine Fete nicht, aber das hier ist besser als alles, was ich jemals erlebt habe!”
Die Versuchung
„Ich mache mir Sorgen um Fräulein Wehmut”, sagte Jana zu Karen und Lilli. „Daß sie bei dem französischen Fest kräftig zugeschlagen hat, kann man ihr nicht verübeln, einmal muß man auch alle Diätvorschriften vergessen können. Aber findet ihr nicht, daß sie seither ein bißchen runder geworden ist?”
Lilli legte den Kopf schief und betrachtete die Kehrseite der Lehrerin, die versonnen am Fenster stand und aufs Meer hinaussah, während die Klasse mit ihren Hausaufgaben beschäftigt war.
„Ich fürchte, du hast recht. Der Büstenhalter kneift schon wieder.” Karen schüttelte sorgenvoll den Kopf.
„Ich versteh’ das nicht. Bei den Mahlzeiten hält sie sich wirklich zurück, und in den Schulpausen knabbert sie trockenes Knäckebrot.”
„Ist doch klar!” flüsterte Yvonne, die hinter Karen saß. „Sie nascht heimlich! Als ich ihr neulich die Hefte ins Zimmer raufbringen mußte, habe ich sie mit einer Tafel Schokolade erwischt. Und Greta hat sie in der Konditorei gesehen. Vor einem riesigen Stück Sahnetorte!”
„Im Ernst?” Jana war schockiert. „Wie kann sie uns das antun! Sie kann doch nicht unseren schönen Erfolg kaputtmachen! Dagegen müssen wir unbedingt was unternehmen.”
Weiter kam sie nicht, denn Fräulein Wehmut schaute sich um und warf einen mahnenden Blick in die Runde. Die Mädchen senkten in gespieltem Eifer die Köpfe und fuhren mit den Fingern die Vokabelreihen hinauf und hinunter. Fräulein Wehmut ging einmal durch die Reihen, dann wandte sie sich wieder dem Anblick der untergehenden Sonne über den Klippen zu.
Lilli kramte nach einem Zettel, schob ihn unter das Buch und kritzelte eine Botschaft darauf, die sie Jana hinüberschob. Wir müssen ihr eine deutliche Warnung zukommen lassen, ehe es zu spät ist! stand darauf.
Jana schrieb zurück: Aber wie?
„Bist du mit deiner Arbeit fertig, mein Kind?” tönte Fräulein Wehmuts gewaltige Opernstimme herüber.
Jana senkte schuldbewußt die Nase ins Buch. Es hatte keinen Sinn, sie mußten das Gespräch auf später verschieben. Es war ohnehin besser, das Problem im Schlafsaal zu erörtern, wenn alle dabei waren.
Beim Händewaschen vor dem Abendessen war es endlich soweit.
„Alle mal herhören, Alarmstufe eins!” verkündete Karen. „Unser Sorgenkind braucht Hilfe. Die bekehrte Sünderin ist im Begriff, rückfällig zu werden.”
Rosi fuhr herum, als hätte ihr jemand Juckpulver in den Kragen geschüttet.
„Fräulein Wehmut? Das ist nicht dein Ernst!”
„Leider doch. Sie nascht.”
„Sie nascht? Das werden wir ihr austreiben! Diese Frau muß man einfach vor sich selber schützen”, verkündete Rosi pathetisch. „Es wäre zu schade um sie, schließlich haben wir unseren Sieg zu vert… oh, hallo Hausmutter”, unterbrach sie sich, nachdem Lilli sie zum drittenmal angestoßen hatte.
„Was für einen Sieg wollt ihr verteidigen? Oder ist das ein Geheimnis”, fragte Dolly und verteilte Wäschepäckchen auf den Betten.
„Nicht direkt…” Roswitha sah sich hilfesuchend um. „Es geht um eine alte Wette, die wir mal abgeschlossen haben. Wir haben sie nämlich gewonnen, und es könnte sein, daß wir sie jetzt verlieren.”
„Das glaube ich nicht.” Dolly suchte vergeblich nach dem Namensschild in einem Nachthemd und hielt es in die Höhe. Anna erkannte es als das ihre und schnappte es sich. „Wißt ihr”, fuhr Dolly fort, „wenn man einmal eine Wette gewonnen und den Wetteinsatz kassiert hat, ist die Wette ein für allemal erledigt. Um sie später wieder zu verlieren, müßte sie erst mal neu abgeschlossen werden. Um was ging’s denn?”
Die Mädchen sahen sich betreten an.
„Och”, winkte Lilli ab, „nicht so wichtig.” Dolly fragte nicht weiter, sie wußte, wie kostbar den Mädchen ihre kleinen Geheimnisse waren.
„Hausmutter!” platzte Jana heraus, „Sie
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