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Dolores

Dolores

Titel: Dolores Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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seine Barbierladen-Kumpel eifrig damit beschäftigt, Joe nicht zu finden. Ich war an dem Punkt angelangt, an dem ich dachte, ich würde wohl selbst über ihn stolpern müssen, so wenig mir diese Vorstellung gefiel. Wenn da nicht das Geld gewesen wäre, hätte er von mir aus da unten bleiben können bis zum Jüngsten Gericht. Aber das Geld war drüben in Jonesport, auf einem Konto auf seinen Namen, und ich hatte nicht die geringste Lust, sieben Jahre darauf zu warten, daß er amtlich für tot erklärt wurde, bevor ich es zurückbekam. Selena würde in gut zwei Jahren mit dem College anfangen, und dann würde sie etwas von dem Geld als Startkapital brauchen.
    Allmählich kam man auf die Idee, daß Joe sich vielleicht mit seiner Flasche in den Wald hinter dem Haus verzogen hatte und dabei entweder in eine Falle geraten oder auf dem Heimweg im Dunkeln mit seinem besoffenen Kopf irgendwo gestürzt war. Garrett behauptete, es wäre seine Idee, aber das zu glauben, fällt mir verdammt schwer schließlich bin ich mit ihm zur Schule gegangen. Wie dem auch sei, jedenfalls hängte er am Donnerstag nachmittag einen Aufruf an die Tür des Rathauses, und am Samstagmorgen - das heißt, eine Woche nach der Sonnenfinsternis - zog er mit einem Suchtrupp von vierzig oder fünfzig Männern los.
    Sie bildeten am East Head-Ende der Highgate Woods eine Kette und arbeiteten sich auf das Haus zu, zuerst durch den Wald und dann quer über Russian Meadow. Ich sah, wie sie gegen eins die Wiese in einer langen Linie überquerten, lachend und witzelnd, aber die Witzeleien hörten auf und das Fluchen begann, als sie unser Grundstück erreicht hatten und in das Brombeergestrüpp gerieten.
    Ich stand an der Haustür und sah sie kommen, und das Herz schlug mir bis zum Halse. Ich weiß noch, daß ich dachte, wenigstens ist Selena nicht zu Hause - sie war bei Laurie Langill -, und das ist ein Segen. Dann dachte ich daran, daß das Dornenverhau sie veranlassen könnte, die Suche abzubrechen, bevor sie auch nur in die Nähe des alten Brunnens gekommen waren. Aber sie rückten weiter vor. Plötzlich hörte ich Sonny Benoit rufen: »Hey, Garrett! Hierher! Komm hierher!« - und da wußte ich, daß sie Joe gefunden hatten.
    Natürlich fand eine Autopsie statt, noch an dem Tag, an dem er gefunden worden war, und wahrscheinlich war sie noch im Gange, als Jack und Alicia Forbert gegen Abend die Jungen zurückbrachten. Pete weinte, machte aber einen ziemlich verwirrten Eindruck - ich glaube, er hatte gar nicht richtig begriffen, was mit seinem Dad passiert war. Aber Joe Junior hatte es begriffen, und sein Blick tat mir fast ebenso weh, wie mir der Blick seiner großen Schwester wehgetan hatte, als sie mich fragte, ob ich etwas damit zu tun hätte. Später, als Joe mich beiseite zog, dachte ich, er würde mir dieselbe Frage stellen, und ich wappnete mich innerlich, um ihm die gleiche Lüge aufzutischen. Aber er fragte mich etwas ganz anders. 
    »Ma«, sagte er, »wenn ich froh darüber wäre, daß er tot ist - würde Gott mich dann in die Hölle schicken?« 
    »Joey, ein Mensch kann gegen seine Gefühle nicht viel tun, und ich glaube, Gott weiß das«, sagte ich.
    Da fing er an zu weinen, und dann sagte er etwas, das mir das Herz brach. Er sagte: »Ich habe versucht, ihn zu lieben. Ich habe es ständig versucht, aber er hat es mir einfach nicht erlaubt.«
    Da nahm ich ihn in die Arme und drückte ihn fest an mich. Ich glaube, in diesem Moment war ich den Tränen näher als irgendwann während dieser ganzen Sache, aber ihr müßt bedenken, daß ich nicht sonderlich gut geschlafen hatte, und daß ich immer noch keinen blassen Schimmer hatte, wie sie ausgehen würde.
    Die amtliche Leichenschau sollte am Dienstag stattfinden, und Lucien Mercier, der damals der einzige Bestattungsunternehmer auf Little Tall war, teilte mir mit, daß ich Joe am Mittwoch auf The Oaks beisetzen lassen könnte. Aber am Montag, dem Tag vor der Leichenschau, rief Garrett mich an und sagte, ich möchte doch auf ein paar Minuten in sein Büro kommen. Das war der Anruf, den ich erwartet und vor dem ich mich gefürchtet hatte,, aber mir blieb nichts anderes übrig, als hinzugehen; ich bat Selena, den Jungen ihren Lunch zu geben, und dann ging ich. Garrett war nicht allein. Dr. John McAuliffe war bei ihm. Auch das hatte ich mehr oder weniger erwartet, aber mir wurde trotzdem ein bißchen flau.
    McAuliffe war damals der für das County zuständige Amtsarzt. Er starb drei Jahre später, als sein

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