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Titel: Domain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herbert
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wären mühelos noch ein Dutzend weitere Ratschläge eingefallen, die man der staunenden Öffentlichkeit hätte verpassen können. Aber dazu war es wohl zu spät. Die Ärztin drückte die qualmende Kippe im Aschenbecher aus und zündete sich die nächste Zigarette an.
    Asche zu Asche, ein Symbol. Sie starrte auf die Glut, die schon in wenigen Minuten unweigerlich erlöschen würde. Der Tabak würde sich selbst vernichten, so wie sie, Clare Reynolds, sich in all den Jahren vernichtet hatte.
    Merkwürdig, was die Menschen für Anforderungen an die Angehörigen der gehobenen Berufe stellten. Welchen Grund hatte es, dass der Mann auf der Straße denjenigen, die Verantwortung trugen, keine eigenen Gefühle zubilligten? Von einem Flugkapitän erwartete man, dass er in einer gefährlichen Situation nur an das Wohl der Passagiere, nicht ans eigene Überleben dachte; ein Geistlicher durfte keine seelischen Probleme haben, seine Pflicht war es, ganz und gar in der Betreuung seiner Schäfchen aufzugehen, deren Seelenmüll beiseite zu räumen. Und natürlich hatten auch jene, die den Beruf des Arztes – oft sprach man sogar von einer Berufung –ausübten, kein Recht auf eigene Empfindungen. Überhaupt hatten Ärzte unfehlbar zu sein. Ein Mediziner hatte Leprakranke zu behandeln, ohne sich mit Lepra anzustecken, er hatte Tuberkulosekranke zu heilen, ohne Tuberkulose zu erwischen, und natürlich bekam er nie einen Schnupfen, auch wenn in seinem Wartezimmer zwanzig erkältete Patienten saßen. Ärzte waren immun. Wirklich? Clare gestattete sich ein Lächeln, als sie sich an eine Kollegin erinnerte, die sich irgendwo, irgendwie, bei irgendwem mit Herpes angesteckt hatte.
    Physisch und seelisch gesehen, waren Ärzte eine besondere Rasse, und Ärztinnen selbstverständlich auch.
    Allerdings…
    (Wie viele Psychiater erlitten Nervenzusammenbrüche?
    Viele.)
    (Wie viele Geistliche machten sich der Sünde schuldig?
    Einige.)
    (Wie viele Rechtsanwälte verzweifelten an der
    Ungerechtigkeit der staatlichen Justiz? Nun, in jedem Beruf gab es Ausnahmen.)
    Tatsache war, die Menschen interessierten sich nur für ihre eigenen Probleme, nicht für die Schwierigkeiten, die ein Arzt, ein Geistlicher, ein Rechtsanwalt haben mochte. Auch im Bunker war das so. Mit einer Ausnahme. Kate Garner. Sie war die einzige gewesen, die sich erkundigt hatte, ob Clare bei der Katastrophe nicht auch einen Angehörigen verloren hätte.
    Dr. Clare Reynolds hauchte gegen ihre Brillengläser und wischte sie mit einem Papiertaschentuch sauber. Es gab ein Dutzend Leute in der Kantine, und doch war sie allein. Sie war allein, weil sie es so wollte. Sie hielt auf Abstand, die Menschen spürten das. Sie spielte allen Theater vor, und sie war eine perfekte Schauspielerin. Sie trug eine Maske, und die Maske war ihre Rüstung. Allerdings, es gab eine Waffe, gegen die eine solche Rüstung keinen Schutz zu bieten vermochte.
    Welchen Schutz gab es gegen die wunderschönen Träume, die sich in die Gedanken eines Menschen einschlichen? Simon hieß der Mann, von dem Clare träumte. Wenn sie schlief, war Simon bei ihr, flüsterte mit zärtlicher Stimme ihren Namen. Er liebkoste sie, bis sie vor Vorfreude zitterte. Sie war es, die diesen Mann wie ein Magnet anzog. Sie sah ihn aus der Unendlichkeit heranschweben. Da war er, nur noch ein Schleier aus Staub trennte sie von ihm. In ihren Träumen nahm sein verstümmelter Körper klare Konturen an. Schade, dass er keine Augen mehr hatte, nur leere, ausgebrannte Höhlen.
    Schade, dass sein Lächeln immer ein Grinsen war, das lag daran, dass er keine Lippen mehr hatte. Der Mund war verbrannt, so wie das Fleisch des Rumpfes und der Gliedmaßen verbrannt war. Nur die Knochen waren übriggeblieben, ein verkohltes Skelett. Immerhin, er trug noch einen Anzug, und in seiner Brusttasche steckte ein Kugelschreiber. Die Krawatte saß sehr locker, irgendwie sah Simon aus wie ein Gehenkter, den man vom Galgen abgeschnitten hatte. Er griff nach ihr mit seiner Knochenhand, und Clare jubelte, als er den Schleier aus Atomstaub beiseite wischte, der das letzte Hindernis ihrer Vereinigung gewesen war. Sein Gerippe schepperte, als er ihre Hand ergriff. Er neigte den Kopf, so dass sie ihm über das Haar streichen konnte, über die lächerlichen roten Strähnen, die ihm geblieben waren. Und jetzt öffnete er die Kiefer, um sie zu begrüßen.
    Käfer kamen herausgekrabbelt…
    Clares Brille war auf den Tisch gefallen. Die Männer am Nebentisch maßen die

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